Menschenrechtsstiftung TIHV veröffentlicht Bericht zu Erdbeben
Die Menschenrechtsstiftung TIHV hat einen Bericht zu den Rechtsverletzungen in der Türkei nach dem Erdbeben vom 6. Februar veröffentlicht.
Die Menschenrechtsstiftung TIHV hat einen Bericht zu den Rechtsverletzungen in der Türkei nach dem Erdbeben vom 6. Februar veröffentlicht.
Die Menschenrechtsstiftung Türkei (Türkiye İnsan Hakları Vakfı, TIHV) hat einen Bericht über die Rechtsverletzungen in der Erdbebenregion seit dem 6. Februar veröffentlicht. Der 28-seitige Bericht umfasst den Zeitraum bis zum 27. Februar und beinhaltet die Themen „Verletzungen des Rechts auf Leben, persönliche Sicherheit, Gefängnisse, Gedanken- und Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie Vereinigungsfreiheit und Solidarität“.
Laut dem Bericht, der auf der Grundlage von Medienberichten und Stellungnahmen von Expert:innen und Berufsverbänden sowie anderen Menschenrechtsorganisationen erstellt wurde, zeigen die Vorfälle „in besorgniserregender Weise, dass die rechtliche Perspektive vollständig aufgegeben wurde, um die Wahrheit unsichtbar zu machen“.
Die TIHV weist darauf hin, dass in den elf vom Erdbeben in der Türkei betroffenen Provinzen die Infrastruktur zusammengebrochen ist: Öffentliche Gebäude, Krankenhäuser, Kommunikationssysteme, Stromleitungen, Straßen und Eisenbahnlinien sowie Flughäfen wurden unbrauchbar und natürliche Lebensräume zerstört. Der Hauptfaktor für das Ausmaß der Naturkatastrophe sei „das Versagen der Behörden, die wissenschaftlichen Anforderungen der Erdbebenvorbereitung zu erfüllen, trotz aller Warnungen und Kritiken von Expert:innen, wissenschaftlichen Kreisen sowie Berufs- und Nichtregierungsorganisationen“.
In dem Bericht werden „schwerwiegende Fehler, Nachlässigkeiten, Fehlverhalten sowie Koordinations- und Planungsmängel vor und nach den Erdbeben“ benannt. Darüber hinaus verweist die TIHV auf einen Bericht vom Verband der Architekten- und Ingenieurkammern der Türkei (TMMOB) und der Kammer der Bauingenieure (IMO) vom 14. Februar. Bereits in diesem Bericht sei nachvollziehbar dargelegt worden, wie aus einem Erdbeben durch Menschenhand eine große Katastrophe werden kann.
Die TIHV hebt hervor, dass die Notfalleinsätze und die Such- und Rettungsmaßnahmen nach dem Erdbeben nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden und dass es Unorganisiertheit, Verspätungen, Koordinierungs- und Planungsmängel gab. Diesbezüglich sei festgestellt worden, dass „in den Regionen unzureichendes Personal und unzureichende Ausrüstung eingesetzt wurden. Öffentliche Einrichtungen konnten nicht ordnungsgemäß genutzt werden, und es kam eindeutig zu einer ,Krisenbewältigungskrise'.“
In diesem Zusammenhang kommentiert die Menschenrechtsstiftung auch die Äußerungen von Staatschef Erdogan (AKP) bei seinem Besuch in Semsûr (tr. Adıyaman) am 27. Februar. Erdogan hatte in der stark zerstörten Provinzhauptstadt erklärt: „Leider konnten wir in den ersten Tagen in Adıyaman nicht so effektiv arbeiten, wie wir es uns gewünscht hätten. Wir konnten aufgrund der Wetter- und Straßenverhältnisse nicht am ersten Tag anreisen. Dafür bitte ich Sie um Verzeihung für die ersten Tage." Die TIHV sieht darin ein „Eingeständnis einer Krisenmanagementkrise mit hohen Kosten".
Rechtsverletzungen in den ersten drei Wochen nach dem Erdbeben
In der Kurzfassung des Berichts werden folgende Rechtsverletzungen aufgeführt:
- Mindestens eine Person starb in Gewahrsam aufgrund von Folter und Misshandlung.
- Drei Gefangene starben in Gefängnissen infolge des Eingreifens von Vollzugsbeamten.
- In neun verschiedenen Fällen wurden 17 Personen gefoltert und misshandelt, eine Person starb.
- Die Identität von 82 der 1902 unbegleiteten Kinder konnte nicht festgestellt werden.
- Sicherheitskräfte und/oder Zivilpersonen haben gegen 22 aus dem Erdbebengebiet berichtende Journalistinnen und Journalisten interveniert. Ein Journalist wurde verletzt, vier Journalist:innen wurden festgenommen und zwei Journalist:innen wurden wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien verhaftet.
- 575 Personen wurden wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien strafrechtlich verfolgt. 141 Personen wurden festgenommen, 27 Personen wurden verhaftet.
- Die für Radio, Fernsehen und Internet zuständige türkische Aufsichtsbehörde RTÜK verhängte Strafen gegen die Sender Halk TV, Tele 1 und FOX TV wegen ihrer Berichterstattung über das Erdbeben und die Such- und Rettungsaktionen.
- 246 Personen, die gegen die Entscheidung protestierten, nach dem Erdbeben Fernunterricht an den Universitäten einzuführen, wurden unter Folter und Misshandlung festgenommen.
- In mindestens 20 Fällen wurden Bürger:innen, Organisationen der Zivilgesellschaft, politische Parteien und Gemeinden daran gehindert, Hilfsgüter für die Erdbebenopfer zu sammeln. 16 Personen wurden festgenommen und sechs Personen wurden willkürlich inhaftiert. Einer Person wurde körperliche Gewalt angetan und eine Person wurde mit einer Geldstrafe belegt.
- Eine Person wurde bei einem bewaffneten Angriff auf eine Hilfsorganisation verletzt.
- In mindestens sieben Fällen wurden Hilfsgüter von der Katastrophenschutzbehörde AFAD, Landratsämtern und Ordnungskräften beschlagnahmt.
-100 von der Zukunftspartei (Gelecek Partisi) entsandte Lastwagen sowie 1500 Zelte, acht Lastwagen und zwei Transporter mit Hilfsgütern, 30 Container und 120 Generatoren der Demokratischen Partei der Völker (HDP) wurden beschlagnahmt.
Der vollständige Bericht auf Türkisch findet sich hier.