Menschenrechtsbericht: Wie die Bundesregierung die Türkei sieht

Die Bundesregierung bescheinigt der Türkei in einem Bericht eine negative Entwicklung der Menschenrechtslage. Die kurdische Frage wird in dem Bericht über die Menschenrechtspolitik mit keinem Wort erwähnt.

Die deutsche Bundesregierung hat den 14. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik veröffentlicht. Mit dem Bericht legt die Bundesregierung nach eigenen Angaben Rechenschaft über ihre Arbeit im In- und Ausland zum Schutz der Menschenrechte ab. In dem über 300 Seiten langen Text findet sich auch ein vorsichtig formulierter Abschnitt zur Türkei. Die kurdische Frage und die daraus hervorgehenden Menschenrechtsverletzungen werden mit keinem Wort erwähnt. Folter, extralegale Hinrichtungen, Zehntausende politische Gefangene, Hungerstreik-Tote oder kurdische Bauern, die aus einem Militärhubschrauber geworfen werden, kommen in dem Bericht nicht vor.

Negative Entwicklung

„Die insbesondere seit dem Putschversuch vom Juli 2016 negative Entwicklung der Menschenrechtslage hält auch nach Aufhebung des Notstandsrechts (Juli 2018) an. Wesentliche Sonderregelungen des Notstands (Versammlungsrecht, Polizeigewahrsam, Entlassungen aus dem Staatsdienst) wurden in ordentliche Gesetze überführt“, wird in dem Bericht zur Türkei festgestellt.

Der weit gefasste strafrechtliche Terrorismusbegriff ermögliche dabei missbräuchliche Auslegung: „Regierungskritische Stimmen sehen sich weiterhin der Gefahr von Strafverfolgung und Verhaftung ausgesetzt. Ermittlungs- und Gerichtsverfahren mit politischem Bezug lassen Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen und wirken einschüchternd auf die türkische Zivilgesellschaft, so etwa die entgegen einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fortgesetzte Untersuchungshaft des prominenten Mäzens und Aktivisten Osman Kavala. Fortgeführt werden Entlassungen aus dem Staatsdienst wegen des Vorwurfs von Verbindungen zur Gülen-Bewegung, die in der Türkei als Terrororganisation und Drahtzieherin des Putschversuchs gilt. Regierungskritische Demonstrationen werden regelmäßig verboten, mit übermäßigen Auflagen belegt oder aufgelöst.“

Regierungsabhängige Medien

Zur Frage der Pressefreiheit stellt der Bericht fest: „Der Großteil der türkischen Medien ist von der Regierung abhängig; rund 100 Medienschaffende sind inhaftiert. ,Reporter ohne Grenzen' verweist die Türkei im Pressefreiheitsranking auf Platz 154 von insgesamt 180 Ländern. Strafverfolgungsbehörden gehen gegen kritische Inhalte in sozialen Medien vor, ein neues Gesetz ermöglicht ab 1. Oktober 2020 Sperrungen und Bandbreitebeschränkungen von Internetplattformen.“

Frauenrechte

Zum Thema Frauenrechte heißt es in dem Bericht lediglich: „Frauen werden oftmals wirtschaftlich, sozial und politisch erheblich benachteiligt. Im aktuellen ,Global Gender Gap Index' des Weltwirtschaftsforums liegt die Türkei auf Rang 130 von 153 Staaten.“

Religionsfreiheit

Die Freiheit der Religionen in der Türkei entspricht laut Bundesregierung nicht dem internationalen Standard: „Nichtsunnitische und nichtislamische Gruppen haben keinen rechtlich gesicherten Status und sind vom Wohlwollen der Regierung abhängig.“

Kommunale Zwangsverwaltung

Zur Zwangsverwaltung kurdischer Städte und Gemeinden, der Missachtung von Millionen Wählerstimmen und der Tatsache, dass es in Nordkurdistan faktisch kein Wahlrecht mehr gibt, stellt die Bundesregierung lediglich fest, dass die Kommunalwahlergebnisse von 2019 „von der Zentralregierung nicht durchgängig respektiert“ wurden, mehrere Dutzend gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister seien abgesetzt und „durch nicht gewählte Verwalter“ ersetzt worden. Die Kritik der Venedig-Kommission des Europarats sei von türkischer Seite nicht aufgegriffen worden. Dass es sich bei den abgesetzten und zu Dutzenden inhaftierten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern um Mitglieder der Demokratischen Partei der Völker (HDP) handelt, ist für die Bundesregierung keine Erwähnung wert.

Umsetzung von Menschenrechtsverpflichtungen

Die Türkei stellte sich im Januar 2020 dem „universellen Staatenüberprüfungsverfahrens“ des UN-Menschenrechtsrats. Die Empfehlungen fokussierten sich auf die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz, Änderungen der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, Stärkung der Frauenrechte und Gewährleistung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Der Bericht der Bundesregierung hält dazu fest: „Eine Justizreform, die seit Oktober 2019 in mehreren Tranchen umgesetzt wird, trug bisher nicht wesentlich zur Behebung grundlegender Missstände bei.“

Deutsche und europäische Projektarbeit

Laut dem Bericht unterstützt Deutschland in der Türkei Projekte zur Förderung von Pressefreiheit, zur Stärkung des Rechtsstaats, zur Gleichstellung von Frauen und „zur Stärkung der Rechte von Minderheiten, u.a. LGBTI“.

Zum Flüchtlingsabwehrpakt mit dem Erdogan-Regime, durch den sich die Bundesrepublik und die EU weiterhin erpressbar machen, heißt es in dem Bericht: „Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit wird die Türkei bei der Eingliederung von fast vier Millionen Flüchtlingen unterstützt. Auch die EU ist im Rahmen der 2016 vereinbarten Flüchtlingsfazilität (FRiT) sowie mit Programmen zur Stärkung von Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit aktiv.“