Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat den Einspruch der Türkei gegen das Urteil vom 10. Dezember 2019 im Verfahren von Osman Kavala zurückgewiesen. Der bekannte Unternehmer, Bürgerrechtler und Kulturmäzen befindet sich seit Oktober 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Ihm und 15 weiteren Angeklagten war ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen worden. Der EGMR hatte vergangenes Jahr entschieden, dass Kavalas Rechte verletzt worden sind und er umgehend freigelassen werden muss.
Im Februar waren alle Angeklagten im „Gezi-Prozess“ überraschend freigesprochen worden. Gegen Kavala wurde daraufhin kurzerhand Haftbefehl wegen Spionagevorwürfen erlassen. An seiner Haftsituation ändert sich daher trotz des erfolgten EGMR-Beschlusses nichts. Er befindet sich seit 924 Tagen im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul.
Staatanwaltschaft geht im Gezi-Prozess in Berufung
Nach den Freisprüchen gegen die 16 Angeklagten im Gezi-Prozess hat die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul Anfang April Berufung eingelegt. Hintergrund der Anklage gegen Kavala und 15 Intellektuelle, Journalisten, Schauspieler und Menschenrechtler waren die Gezi-Proteste von Sommer 2013. Damals hatten Aktivist*innen zunächst gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, der unmittelbar an den zentralen Taksim-Platz angrenzt, demonstriert. Die lokalen Proteste weiteten sich schnell zu einer landesweiten Widerstandsbewegung gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus, nachdem die Polizei hart gegen die Bürgerinitiative und solidarische Umweltaktivist*innen vorgegangen war. Die Bewegung wurde jedoch blutig niedergeschlagen – elf Menschen starben, Tausende weitere wurden verletzt.
In dem neuen Spionageverfahren werden Kavala Kontakte zu dem von Erdoğan als „Putsch-Planer“ und „CIA-Agent“ lancierten US-Professor Henri Barkey zur Last gelegt.
Osman Kavala ist Gründer der Kulturstiftung Anadolu Kültür, mit der insbesondere Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten gefördert werden, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Zu seinen Anliegen gehören unter anderem die Aussöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Die Stiftung arbeitet auch mit mehreren deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut in Istanbul zusammen. Zudem war Kavala als Sponsor von Amnesty International bekannt.