Dramatische Situation in türkischen Gefängnissen

Die Aktivistin Berivan Emine Korkut vom Gefangenenhilfsverein CISST beschreibt die Situation in den Gefängnissen der Türkei als dramatisch. Alle Vollzugsanstalten seien völlig überbelegt, das Justizministerium halte die Zahlen zu Insassen zurück.

Der Gefangenenhilfsverein CISST (Zivilgesellschaft für den Strafvollzug) beschäftigt sich als Menschenrechtsorganisation mit der Situation in den türkischen Gefängnissen. Berivan Emine Korkut ist Koordinatorin für die Rechtsvertretung der Einrichtung. Gegenüber ANF hat sie sich zur gegenwärtigen Lage im Strafvollzug geäußert.

Korkut erklärt, dass es keine klaren Angaben darüber gibt, wie viele Menschen in der Türkei und Nordkurdistan in Haft sind. Laut den vom Justizministerium und seinen angeschlossenen Institutionen veröffentlichten Daten befanden sich vor der Corona-Pandemie mehr als 300.000 Menschen in Haft. Mit dem Vollzugsgesetz, der sogenannten „Corona-Amnestie“, in dessen Rahmen Strafgefangene freikamen, darunter etliche Gewalttäter und sogar rechtsextreme Mafiapaten, wurde eine unbestimmte Zahl von Insassen entlassen. Seither ist die Zahl der Inhaftierten ein Geheimnis. Laut Korkut besteht eine offizielle Kapazität von 236.755 Haftplätzen, die Zahl der Gefangenen sei aber mindestens 50 Prozent höher. Auf Fragen, wie die Haftplätze für diese Gefangenen geschaffen wurden, hülle sich die Regierung in Schweigen.

Seit zwei Jahren kein sauberes Wasser

Die Überbelegung der Gefängnisse stellt eine enorme psychologische Belastung für die Gefangenen dar, warnt Korkut. „Die Bäder und Toiletten werden von viel zu vielen Menschen gleichzeitig genutzt. Die Überfüllung durch die weitere Zunahme von Inhaftierten, die diese Einrichtungen nutzen müssen, machen jegliche Form von Hygiene praktisch unmöglich und erhöhen das Risiko ansteckender Krankheiten. Insbesondere der Zugang zu sauberem Wasser und die Unterbrechung der Wasserversorgung stellt ein Problem dar. Das alles zusammengenommen erhöht das Krankheitsrisiko. Im L-Typ-Gefängnis von Patnos beispielsweise haben die Gefangenen seit zwei Jahren keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Überbelegung führt auch zur Einschränkung von sozialen und sportlichen Aktivitäten. Die Enge in den Gefängnissen verschlechtert die Beziehungen unter den Insassen und führt insbesondere bei den verurteilten Strafgefangenen zu einer Zunahme von Gewalt.“

Fehlender Zugang zu Information stellt großes Problem dar

Ein großes Problem sei laut Korkut auch die Kommunikation. So würden die meisten Rechtsverletzungen aus den Gefängnissen gar nicht nach draußen dringen und Informationen über die Situation in den Vollzugsanstalten und die Zahl der Gefangenen würden zurückgehalten. „Wir bekommen nicht einmal die einfachsten Statistiken. Ein weiteres Problem stellt die Schließung der Gefängnisse für zivilgesellschaftliche Organisationen dar. Die Zivilgesellschaft erhält keinen Zugang in die Gefängnisse“, beklagt Korkut. Auch Briefe der Gefangenen an NGOs würden zensiert oder festgehalten.

Folter und Misshandlung

„Uns erreichen Berichte von Gefangenen die angeben, schweren Misshandlungen oder Folter ausgesetzt zu werden. Aufgrund der Blockadehaltung der Regierung sind wir jedoch nicht in der Lage, diese Angaben zu verifizieren“ fährt Korkut fort. Es herrsche außerdem ein Klima der Straflosigkeit in angezeigten Fällen. „Kein einziger Beamter wurde im letzten Jahr wegen Folter oder Misshandlung bestraft. In keinem Fall wurden ausreichende Ermittlungen geführt, wenn es Klagen wegen Folter oder Misshandlung gab. Den Klägern wird einfach nicht geglaubt. Diese Umgehensweise sagt uns schon einiges. Die Straflosigkeit ist sicher eines der Hauptprobleme heute. Wenn Gefangene mit Klage drohen, erhalten sie von den Tätern die Antwort: ‚Stell ruhig deine Anzeige, mir passiert nichts‘. Die Anzahl der eingestellten Verfahren wegen Folter und Misshandlung bestätigt diese Angabe.“