Mehmet Emin Özkan sitzt seit 25 Jahren unschuldig in der Türkei im Gefängnis und ist schwer krank. In Adana hat heute eine Verhandlung im neu aufgerollten Prozess gegen den 83-Jährigen stattgefunden. Der Kurde aus Amed ist als vermeintliches PKK-Mitglied wegen Mord an einem Militärkommandanten im Jahr 1993 zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt worden.
Özkan nahm an dem Prozess über eine Liveschaltung aus dem Gefängnis teil. Dabei wurde erneut die Verhandlungs- und Haftunfähigkeit deutlich. Er konnte offensichtlich der Verhandlung nicht folgen und sich nicht verteidigen. Auf eine Frage des Richters antwortete ein im Raum anwesender Wächter: „Er kann Sie nicht hören und nicht verstehen.“
Özkans Verteidiger Yakup Ataş und Tugay Bek beantragten daraufhin erneut die Haftentlassung ihres Mandanten aufgrund seines Gesundheitszustandes. Der Antrag wurde abgelehnt mit Verweis auf den Licê-Prozess, der noch beim Kassationshof anhängig ist. Die Verhandlung wurde auf den 21. Dezember vertagt.
Inhaftierter Sohn zur Pflege des Vaters nach Amed verlegt
Mehmet Emin Özkan ist etliche Male aus dem Gefängnis in Amed in eine Klinik eingeliefert worden. Bilder, die ihn an ein Krankenhausbett gefesselt und in Handschellen zum Gefängnistransporter abführend zeigten, sorgten für Wut und Empörung innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Özkan wird vom Menschenrechtsverein IHD in der Liste der „schwerkranken Gefangenen“ geführt. Er leidet unter diversen Krankheiten, darunter fallen unter anderem ein Aneurysma im Gehirn, Bluthochdruck, eine Schilddrüsenerkrankung, eine Alzheimer-Demenz, die zu Gedächtnisverlust, Verwirrtheit und Desorientierung führt, Gehörverlust, Atemschwäche und eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Sechs Herzattacken hat Özkan bislang überlebt, vier Mal musste er eine Herzkatheteruntersuchung über sich ergehen lassen. Ein rechtsmedizinisches Institut hat bei ihm eine Behinderung von 87 Prozent festgestellt – aber gleichzeitig seine Haftfähigkeit bescheinigt. Damit wurde auch die Ablehnung mehrerer Haftentlassungsanträge begründet. Özkan ist vollständig auf die Hilfe seiner Mitgefangenen angewiesen. Vor zwei Wochen wurde sein ebenfalls inhaftierter Sohn ins D-Typ-Gefängnis verlegt, um seinen Vater zu pflegen.
Ärzte- und Anwaltskammern appellieren an Justizministerium
21 zivilgesellschaftliche und rechtliche Organisationen haben einen gemeinsamen Appell für die Freilassung von Mehmet Emin Özkan verfasst. Unter den Unterzeichnenden der Erklärung befinden sich Rechtsanwaltskammern, Ärztekammern und Vereine der Gefangenensolidarität. „Mehmet Emin Özkans Gesundheitszustand hat schon längst eine kritische Stufe erreicht. Seit dem 17. Mai verschlechtert sich seine ohnehin schon lebensgefährliche Verfassung zusehends. Wir appellieren an das Justizministerium und die Menschenrechtskommission der türkischen Nationalversammlung: Nehmen Sie ihre Verantwortung wahr, lassen Sie Mehmet Emin Özkan nicht im Gefängnis sterben“, heißt es darin.
Warum wurde Özkan verurteilt?
Am 22. Oktober 1993 wurde in Licê, einem Landkreis der Provinz Amed, der Brigadegeneral Bahtiyar Aydın erschossen. Obwohl die PKK die Beteiligung an seiner Ermordung mit der Begründung ablehnte, keine Vergeltungsschläge provozieren zu wollen, die zu zivilen Opfern führen könnten, beschuldigte die Regierung die kurdische Guerilla, für den Tod von Aydın verantwortlich zu sein. Einen Tag nach dem Mord an Bahtiyar Aydın verübte das türkische Militär einen Racheakt an der Bevölkerung von Licê. Sechzehn Menschen fielen einem Massaker zum Opfer, weitere 36 Personen wurden teils schwer verletzt. Insgesamt 402 Häuser und 285 Arbeitsstätten setzte das Militär in Brand, die Zahl der Vertriebenen ist noch immer unklar.
Später kam heraus, dass Aydın von seinen eigenen Leuten erschossen worden war. Mehmet Emin Özkan, der 1996 wegen einer Bagatelle festgenommen worden war, wurde im September desselben Jahres wegen Mordes an dem Brigadegeneral zu einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anklage gegen ihn beruhte im Wesentlichen auf den Aussagen eines Kronzeugen.