Sechseinhalb Jahre lang saß der aus Kobanê in Nordsyrien stammende Kurde Mustafa Muhammed Ali in türkischer Haft. Ende 2013 war der damals 23-Jährige mit seiner Familie vor dem Krieg in seiner Heimat in die nordkurdische Grenzstadt Pirsûs (türk. Suruç), direkt gegenüber von Kobanê geflohen. Dort wurde er festgenommen und landete im Gefängnis Kürkçüler-Adana in Untersuchungshaft. Anfang 2014 wurde Ali wegen dem Vorwurf, Kämpfer für eine „verbotene Terrororganisation“ – gemeint sind die Volksverteidigungseinheiten YPG – rekrutiert zu haben, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt, ohne einen einzigen Beweis. Rund drei Jahre später wurde er in das D-Typ-Gefängnis in der westtürkischen Provinz Denizli verlegt.
Wie die Gefangenenhilfsorganisation für die Ägäis-Region TUHAY-DER am Mittwoch meldete, wurde Mustafa Muhammed Ali gestern aus der Haft entlassen – und unmittelbar danach an die Militärpolizei (Gendarmerie, türk. Jandarma) übergeben. Diese brachte den 30-Jährigen zur Provinzkommandantur im Landkreis Honaz, wo sich auch das Abschiebezentrum GGM (Geri Gönderme Merkezi) befindet. Weder vor Ort wartende Mitglieder von TUHAY-DER noch Vereinsanwälte erhalten Auskunft darüber, wann Alis Überstellung an das GGM und somit seine Abschiebung aus der Türkei erfolgen soll. Kommt es tatsächlich so weit, würde der Kurde nicht ins Gebiet unter syrischer Regimekontrolle abgeschoben werden, sondern in die von dschihadistischen Proxys der türkischen Armee kontrollierte Besatzungszone. Die Methode hat sich als gängige Praxis etabliert: für die Freilassung der Betroffenen erpressen die Besatzungsmilizen Lösegeld. Können Angehörige nicht die geforderten und meist horrenden Geldsummen aufbringen, droht die extralegale Hinrichtung der Gefangenen – durch Verbündete des Nato-Partners Türkei. Die Lage vor dem GGM ist angespannt.
Folter und sexueller Gewalt
In den mehr als sechs Jahren seiner ungerechtfertigten Haft wurde Mustafa Muhammed Ali auch anderweitig geschädigt. Nach Angaben des ehemaligen politischen Gefangenen Engin Yurtsuz ist er schwer gefoltert worden. „Die Polizei hat ihn bereits nach seiner Festnahme in Riha [Urfa] körperlich schwer misshandelt. Er erzählte uns, von Beamten mit einem Schlagstock vergewaltigt worden zu sein“, äußerte Yurtsuz gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA). Er saß mit Ali zusammen im Gefängnis Kürkçüler. Dieser wurde dort rund ein Jahr lang per richterlichem Beschluss von seinen Mitgefangenen isoliert in einer Einzelzelle festgehalten. Erst mit einem über drei Monate anhaltenden Hungerstreik konnte Ali erwirken, dass seine Isolationshaft aufgehoben wird.
„Wir wissen, dass aus der Türkei abgeschobene syrische Staatsbürger an islamistische Gruppierungen ausgeliefert werden. Das war schon immer so. Die Dschihadisten werden Mustafa vermutlich als Geisel benutzen, um sich am Lösegeld zu bereichern“, sagte Yurtsuz. „Wir sind sehr besorgt. Er darf nicht abgeschoben werden, sondern muss freikommen.“