Das Töten von Kolbar im kurdischen Grenzgebiet des Dreiländerecks von Iran, Irak und der Türkei ging auch 2024 weiter. Mindestens 59 Lastenträger kamen laut einem Bericht der Initiative „Kolbarnews” im vergangenen Jahr in der bergigen Grenzregion zwischen den aufgeteilten Siedlungsgebieten der Kurdinnen und Kurden ums Leben, 285 weitere wurden verletzt. Die meisten von ihnen wurden Opfer von extralegalen Hinrichtungen, die iranische Grenztruppen verübten. Weitere Todesfälle ereigneten sich durch Stürze aus der Höhe sowie Minenexplosionen, Erfrierungen und Ertrinken. Mehr als 20 der getöteten und verletzten Kolbar waren minderjährig.
Kolbar schmuggeln Waren auf ihrem Rücken
Kolbar, je nach Mundart auch Kolber, leben davon, Haushaltswaren wie Matratzen, und Fernseher, aber auch Zigaretten und manchmal auch Alkohol auf ihrem Rücken über die gefährlichen Grenzen Irans und Iraks zu bringen und einen Handel zwischen den verschiedenen kurdischen Regionen möglich zu machen. Die Ware ist im Irak billiger als in Iran, das zudem einem von den USA initiierten Wirtschaftsboykott unterliegt. Bis zu 50 Kilogramm schleppen Kolbar über die Passrouten – oft nur in Alltagskleidung, und erhalten nur einen minimalen Tagelohn. Den weiteren Verkauf übernehmen die „Kesibkar“, die von Stadt zu Stadt reisen, um für die Waren, die von den Lastenträgern über die Grenze gebracht wurden, Abnehmende zu finden.
Im Dokumentarfilm „Nur Kurden werden sofort erschossen“ erzählt der kurdische Journalist und Filmemacher Jamshid Bahrami die Geschichte der Kolber.
Mindestens 100.000 Kolbar in Rojhilat
Der Marsch über die Berge birgt viele Gefahren. Neben iranischen Grenzschützern, die auf sie lauern und ohne Warnung schießen, passieren die Kolbar auch steile und unwegsame Wege, nicht selten sind ihre Routen vermint. Mindestens hunderttausend Kurd:innen müssen diesen Beruf laut Kolbarnews dennoch ausüben, um wenigstens irgendein Einkommen für sich und ihre Familien erzielen. Das iranische Regime hat Ostkurdistan durch eine gezielte Wirtschaftspolitik verarmen lassen – Rojhilat stellt mittlerweile eine der ärmsten Regionen des Landes dar. Im Vergleich wurde dort am wenigsten investiert und die Entwicklung der kurdischen Gebiete absichtsvoll gebremst. Die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie wurde verhindert, infolgedessen sind die Arbeitslosenzahlen am höchsten im Verhältnis zu den anderen Regionen in Iran.
Zahlen zeigen nicht das gesamte Ausmaß des Kolbarsterbens
Die Initiative Kolbarnews, die sich seit 2013 mit dem Drama der Kolbar beschäftigt, befürchtet allerdings, dass die Dunkelziffer aller im vergangenen Jahr umgekommenen Kolbar höher ist als bekannt. In der Vergangenheit musste die NGO häufig ihre Berichte korrigieren, da Leichen von vermissten Lastenträgern in den Frühlingsmonaten von der Schneeschmelze freigelegt wurden. Oftmals fürchten sich Kolbar zudem vor weiterer Repression des Regimes und zögern daher, mit Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Furcht ist nicht unbegründet.
Anstieg extralegaler Tötungen durch Fatwa gegen Kolbar
2018 hatte der für Sicherheitsangelegenheiten zuständige damalige Vize-Innenminister Hossein Zolfaghari eine verfassungsfeindliche Fatwa ausgesprochen und Kolbar als „Schmuggler“ bezeichnet, „die getötet werden müssen“. Auch geht die Justiz des Regimes verschärft gegen Kolbar vor. Erst im November 2024 wurden in Ûrmiye (Urmia) drei kurdische Kolbar, darunter auch ein Bürger der Kurdistan-Region des Irak (KRI), zum Tode verurteilt, weil sie für Israel spioniert haben sollen. Außerdem hätten sie Waffen transportiert, die bei einem Anschlag auf einen Atomwissenschaftler verwendet worden seien. Der einzige Beweis für die Anschuldigung: Unter Folter erzwungene Geständnisse, die beim Prozess von den Angeklagten widerrufen wurden.