Gewalt gegen politische Gefangene in Silivri
Die Übergriffe und Schikanen gegen politische Gefangene in der Türkei reißen nicht ab. Aus dem Strafvollzugskomplex Silivri westlich von Istanbul werden drastische Menschenrechtsverletzungen gemeldet.
Die Übergriffe und Schikanen gegen politische Gefangene in der Türkei reißen nicht ab. Aus dem Strafvollzugskomplex Silivri westlich von Istanbul werden drastische Menschenrechtsverletzungen gemeldet.
Die Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzugskomplex Silivri nehmen drastisch zu und dürfen nicht hingenommen werden. Das fordern die Angehörigen des politischen Gefangenen Mikail Töre. Der seit 2016 wegen vermeintlicher Unterstützung für eine Terrororganisation inhaftierte Kurde aus der Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) berichtete seiner Familie in einem Telefonat von einer neuen Drehung an der Repressionsschraube in der Strafvollzugsanstalt nahe Istanbul, die ohnehin berüchtigt ist für ein menschenunwürdiges Foltersystem. Es gehe unter anderem um nächtliche Zellendurchsuchungen, militärische Zählappelle, Gewalt und Misshandlungen.
Seit etwa drei Wochen sei ein massiver Anstieg der Menschenrechtsverletzungen in Silivri zu verzeichnen. Seine Angehörigen zitieren Mikail Töre mit den Worten: „Auf Betreiben der Gefängnisleitung kommt es zu einer Vielzahl von Formen der Gewaltanwendung gegenüber politischen Gefangenen. Wir werden Opfer von Diskriminierung, Schlägen und Unterdrückung. Hofgänge und sportliche Aktivitäten sind verboten worden, es gibt willkürliche Disziplinarstrafen. Unsere Zellen werden nachts von einer 20-köpfigen Wachmannschaft gestürmt und verwüstet. Dabei wird gebrüllt und auf Betten und Türen eingeschlagen, wir werden zu Zählappellen gezwungen. Unsere Bücher sind eingezogen und verboten worden, Wasser, Nahrungsmittel und sogar Tassen hat man eingesammelt. Bereits erteilte Besuchsgenehmigungen wurden zurückgezogen, in der Gefängniskantine eingekaufte Lebensmittel werden in die Zellen geworfen.“ Die Familie von Mikail Töre ruft nun die Öffentlichkeit und Organisationen für Menschenrechte auf, aktiv zu werden gegen das Unrecht hinter den Gefängnismauern.
Silivri: Internierungslager für Oppositionelle
Es ist kein Geheimnis, dass in türkischen Gefängnissen Gewalt zur Tagesordnung gehört. Insbesondere in Haftanstalten mit politischen Gefangenen wird ein menschenunwürdiges Foltersystem praktiziert, dem sich Justiz und Regierung vollkommen erschließen. Die HDP bezeichnet dieses Phänomen als „politische Feindjustiz“, mittels der das Desinteresse am Recht auf Leben kundgetan werde. Der 2008 eröffnete Strafvollzugskomplex Silivri, der als größtes Gefängnis in Europa gilt, ist berüchtigt für Übergriffe, Schikanen und Gewalt.
Offiziell heißt der Bau „Campus der Strafvollzugsanstalten Silivri“. Er liegt einen Kilometer vom Marmarameer entfernt und befindet sich in der gleichnamigen Stadt Silivri etwa 70 Kilometer westlich von Istanbul. Auf dem Gelände gibt es zehn einzelne Haftkomplexe mit Mehrpersonen- als auch Einzelzellen, auch für Frauen, dazu ein Krankenhaus und mehrere Gerichtssäle. Die Patrouillenstraße um das Gelände ist etwa so groß wie 200 Fußballplätze. Außerhalb der Mauern befinden sich etwa 500 Dienstwohnungen für die Beschäftigten. Die Regierungsangaben über die Kapazität schwanken zwischen 10.000 und 13.000 Insassen. Menschenrechtsorganisationen weisen demgegenüber immer wieder auf eine Überbelegung der Zellen hin.
Oppositionelle beschreiben den Silivri-Komplex als Internierungslager, weil dort hauptsächlich Kritikerinnen und Kritiker von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eingesperrt werden: Medienschaffende, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Jurist:innen und andere führende Köpfe der Zivilgesellschaft. Aktuell sitzen in Silivri mehr als 15.000 Häftlinge ein, die meisten sind politische Gefangene wie etwa Selçuk Kozağaçlı, Vorsitzender des Anwaltsverbands ÇHD, oder der Bürgerrechtler Osman Kavala, der seit vier Jahren ohne Urteil in Haft ist. Ehemalige Silivri-Gefangene sind unter anderem die stellvertretende HDP-Vorsitzende Meral Danış Beştaş, der Kölner Sozialwissenschaftler Adil Demirci und der Exil-Journalist Can Dündar.