F-Sitzung widmet sich Civan Boltan

Die 510. F-Sitzung des Menschenrechtsvereins IHD ist dem politischen Gefangenen Civan Boltan gewidmet worden. Der 30-Jährige lebt mit einem Schrapnellsplitter im Schädel und kann sich nicht selbst versorgen, dennoch kommt er nicht frei.

Die Gefängniskommission des Menschenrechtsvereins IHD fordert die umgehende Freilassung des politischen Gefangenen Civan Boltan. Der 30-Jährige sei bedingt durch seine Krankengeschichte ohne die Hilfe seiner Mitgefangenen nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, sagte der Menschenrechtler Mehmet Acettin am Samstag bei der „F-Sitzung“ der Istanbuler IHD-Zweigstelle. „Noch gravierender aber ist die Tatsache, dass Boltan sich aufgrund eines Schrapnellsplitters im Kopf faktisch permanent an der Schwelle des Todes befindet. Bewegt es sich nur um wenige Millimeter, kann dies tödliche Folgen für ihn haben. Er muss sofort freigelassen werden, um in einem voll ausgestatteten Krankenhaus unter Aufsicht von Fachleuten behandelt zu werden.“

Civan Boltan befindet sich seit 2012 in türkischer Haft. In jenem Jahr wurde er auf Grundlage der Antiterrorgesetzgebung und „staatsfeindlichem Handeln“ im Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Guerilla zu einer erschwerten lebenslangen Haftstrafe plus weiteren 95 Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Bevor Boltan als Guerillakämpfer in Gefangenschaft geriet, versuchte er sich mit einer Handgranate in die Luft zu sprengen. Dabei wurde sein rechter Arm zerfetzt, außerdem verlor er die Sehfähigkeit auf dem linken Auge. Rund siebzig Schrapnelle durchbohrten seinen Körper, das größte steckt bis heute in seinem Schädel. Als Soldaten ihn entdeckten, wurde er für tot gehalten. Nachdem in einem Krankenhaus festgestellt wurde, dass er noch lebte, führten massive Schläge von Militärs zu schweren Verletzungen auf dem verbliebenen Auge, von dem heute nur noch 30 Prozent intakt sind. Sein gesunder Arm wurde an mehreren Stellen gebrochen. Vermutlich deshalb leidet Civan Boltan heute an dem Raynaud-Syndrom – attackenartigen Durchblutungsstörungen in den Fingern mit Verfärbung der betroffenen Bereiche, Missempfindungen, Taubheitsgefühl und Schmerzen.

„Doch trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen und der weiteren Gefährdung seiner schwer angegriffenen gesundheitlichen Verfassung sowie einer ärztlich festgestellten Haftunfähigkeit wird Civan Boltan nicht entlassen. Seine Freilassung wird mit der Begründung verweigert, dass das im Auftrag von Polizei und Justiz des türkischen Staates arbeitende Institut für Rechtsmedizin eine andere Auffassung als die der ehemaligen Ärzte vertritt und seine Haftfähigkeit bescheinigt“, kritisierte Acettin. „Civan Boltans Angehörige bezeichnen diesen Umstand treffend als Feindstrafrecht“, fuhrt der Menschenrechtler fort und forderte die bedingungslose Freilassung beziehungsweise Aussetzung des Restes der Haftstrafen aller kranken Gefangenen.

F-Sitzung

Um auf die Situation von kranken Gefangenen aufmerksam zu machen, veranstaltet die IHD-Gefängniskommission jeden Samstag in den türkischen Metropolen Istanbul, Ankara und Izmir eine „F-Sitzung“ - in Anlehnung auf das türkische Isolationshaftsystem Typ-F. Auf den Mahnwachen, die coronabedingt nicht immer auf der Straße stattfinden können, wird das Schicksal eines Gefangenen behandelt, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Die heutige Sitzung war bereits die 510. Veranstaltung ihrer Art seit Beginn der Initiative.