Ehettin Kaynar ist am Sonntagabend im Alter von 73 Jahren im Staatskrankenhaus in Reşqelas (tr. Iğdır) verstorben. Der ehemalige politische Gefangene war wegen seiner angeblichen Beteiligung an der Gerechtigkeitskommission der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden und im Gefängnis an einem Leberzellkarzinom erkrankt. Erst als die Erkrankung unheilbar fortgeschritten war, wurde der Strafvollzug für sechs Monate ausgesetzt und er wurde am 2. September aus dem im T-Typ-Gefängnis Karabük entlassen.
Kaynar war 2015 in Reşqelas zusammen mit acht weiteren Personen, darunter Kerim Boran (78), Mehmet Çelik (75), Ferzende Elbi (73), Abdülmecit Kaya (72) und Abdullah Ateş (71), wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, „Störung der Einheit und Integrität des Staates und des Landes" und „Freiheitsberaubung und Plünderung" zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ihnen wurde vorgeworfen, sich in der selbstorganisierten „Gerechtigkeitskommission“ für die Beilegung von Konflikten zwischen Familien engagiert zu haben.
Kaynar wurde am 2. April 2021 verhaftet und in das Hochsicherheitsgefängnis in Edirne gebracht. Anfang des Jahres hatten andere politische Gefangene in Edirne in einem Brief an die Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD vor der akuten Lebensgefahr schwer kranker Mithäftlinge gewarnt, darunter auch Ehettin Kaynar. In dem Schreiben wiesen die Gefangenen darauf hin, dass Kranke keine angemessene medizinische Behandlung bekommen und es in der Haftanstalt bereits zu Todesfällen gekommen sei. Die Vorstellung bei Fachärzten werde von der Vollzugsleitung willkürlich behindert, hieß es in dem Brief: „Ohne den ernsthaften Versuch einer Diagnose werden auf der Krankenstation Medikamente verschrieben und die Behandlungen um Monate und manchmal sogar Jahre hinausgezögert. Erst wenn die Erkrankung bis zur Unheilbarkeit vorangeschritten ist, wird mit der Behandlung begonnen. Eine Überweisung ins Krankenhaus findet erst sehr spät oder gar nicht statt.“ Bei der Fahrt ins Krankenhaus werden die Gefangenen an Händen und Füßen gefesselt, im Krankenhaus werden sie ans Bett gekettet: „Durch diese entwürdigende Behandlung werden Fahrten ins Krankenhaus unmöglich gemacht. Die Ärzte im Krankenhaus und auf der Krankenstation betrachten die Gefangenen meistens als Feinde und erfüllen ihre menschliche und berufliche Pflicht nicht.“ Die Gerichtsmedizin lehne eine Haftverschonung selbst bei tödlichen Krankheiten ab und verurteile die Betroffenen damit offiziell zum Tod.
In dem Brief wurde ausführlich der Gesundheitszustand der betagten Männer aus Reşqelas beschrieben. Diese seien aufgrund ihrer multiblen Erkrankungen nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen, und müssten dringend freigelassen werden.
Kaynar wurde im Mai 2022 aus Edirne nach Karabük verlegt. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Tag zu Tag weiter und er wurde in die gastroenterologische Abteilung eines Krankenhauses in Ankara überwiesen. Erst Monate später wurde die Aussetzung des Strafvollzugs entschieden. Nach seiner Entlassung hatte Ehettin Kaynar gesagt: „Es gibt Hunderte Kranke im Gefängnis, die nicht behandelt werden und denen es schlecht geht.“