Im Strafvollzug in der Türkei ist mit einem „Aufsichts- und Verwaltungsausschuss“ eine neue Instanz eingeführt worden, die über die Entlassungen von Gefangenen entscheidet. Dieser Ausschuss setzt sich aus dem Personal der jeweiligen Vollzugsanstalten zusammen und trifft juristische Entscheidungen, die in einem Rechtsstaat der Gerichtsbarkeit vorbehalten sind. Die HDP-Abgeordnete Dirayet Dilan Taşdemir hat sich gegenüber ANF dazu geäußert. Die kurdische Politikerin sagt, dass selbst bei politischen Gefangenen, die seit dreißig Jahren inhaftiert sind, versucht wird, „Reuebekenntnisse“ zu erzwingen. Immer wieder komme es zu Rechtsverletzungen und Folter gegenüber Gefangenen.
Die Situation im türkischen Strafvollzug sei zu keiner Zeit nachvollziehbar, transparent und menschenrechtskonform gewesen, so Taşdemir: „In letzter Zeit haben in den Gefängnissen jedoch unbeschreibliche Praktiken stattgefunden. Es gibt eine systematische Ausrichtung. Wenn in fast allen Gefängnissen nacheinander die gleichen rechtswidrigen Praktiken angewandt werden, handelt es sich um eine systematische Unterdrückungspolitik. Diese Situation kann von der Gefängnisverwaltung und dem Personal nicht erklärt werden. Sie steht im Zusammenhang mit der Politik der Regierung. Die Politik der Unterdrückung der Gesellschaft nach außen und die Übernahme der Gesellschaft mit Gewalt ist in den Gefängnissen noch stärker ausgeprägt. Alle verfassungsmäßigen Rechte wurden ausgesetzt, und die Gefangenen sind gezwungen, sich dagegen zu wehren."
Gefangene werden als politische Geiseln festgehalten
Taşdemir weist darauf hin, dass es weder ein Gesetz noch eine Verpflichtung zu ständigen Zählappellen im Strafvollzug gibt. Diese Praxis werde in der letzten Zeit wieder mit Nachdruck durchgesetzt. Die Gefangenen müssen sich dazu in militärischer Formation aufstellen. Taşdemir sagt: „Gefangene haben international verbriefte Rechte. Sie haben ein Recht auf anstaltsinterne Unterhaltungen und soziale Aktivitäten. Sport, Besuche und ähnliches... Diese Rechte werden im Strafvollzugsgesetz anerkannt, aber nicht in der Praxis. Es werden triviale Rechtfertigungen dafür erfunden, und die Gefangenen werden mit Gewalt bedroht, wenn sie Einspruch erheben. Sie fordern ihre Rechte ein und erheben Einspruch. Jetzt ist mit dem Aufsichtsausschuss eine juristische Instanz innerhalb des Gefängnisses eingeführt worden. Die Strafgefangenen sind bereits von einem Gericht verurteilt worden, aber der Ausschuss richtet ein neues Gericht ein und fragt die Gefangenen, ob sie Mitglied einer Organisation seien. Er fragt Gefangene, die 30 Jahre im Gefängnis gesessen haben, und wenn er nicht die gewünschte Antwort erhält, werden diese Menschen weiterhin als politische Geiseln festgehalten. Dies ist völlig willkürlich. Die AKP/MHP-Regierung übt Rache an den politischen Gefangenen. Alle humanitären Bedürfnisse der Gefangenen sind nur gegen Geld erhältlich. Wenn ihre Familien Geld schicken, werden sie wegen Unterstützung einer Organisation bestraft. Es ist wirklich schwer, das alles zu erklären."
Folterknechte in Anzügen
„Nach Informationen, die wir von Angehörigen und Anwältinnen und Anwälten erhalten haben, sind in Gefängnissen Personen in Zivilkleidung aufgetaucht, die nicht zum Vollzugspersonal gehörten", sagt Taşdemir: „Sie tragen Anzüge und misshandeln die Gefangenen, indem sie sie zum Beispiel zum Appell zwingen. Wir haben uns an das Ministerium gewandt, wir haben Petitionen eingereicht, aber es wird nichts unternommen. Die Strafvollzugsverwaltungen sprechen nicht mit uns. Politische Parteien und demokratische Massenorganisationen müssen sich sehr ernsthaft engagieren und diese Vorgänge beobachten. Menschenrechtsorganisationen und Anwaltskammern haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Wir müssen dieses Vorgehen beharrlich aufdecken."
Parlamentarische Anfragen werden nicht beantwortet
Die HDP-Abgeordnete Taşdemir sagt, dass sie die Folter in den Gefängnissen häufig auf die Tagesordnung des Parlaments gebracht und parlamentarische Anfragen eingereicht haben: „Achtzig Prozent unserer parlamentarischen Anfragen werden ohnehin nicht beantwortet. Wenn sie beantwortet werden, folgen daraus keine Konsequenzen. Manchmal werden unsere Anfragen mit der Begründung zurückgewiesen, dass sie unhöflich und verletzend seien."