Vollzugssystem in der Türkei
In der Türkei gibt es ungefähr 400 Haftanstalten mit insgesamt etwa 350.000 Häftlingen. Nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD im Gefängnisbericht für 2023 wurden mindestens 426 politische Gefangene nicht zum regulären Termin entlassen, weil ihnen ein Reuebekenntnis abverlangt oder fehlendes Wohlverhalten zum Vorwurf gemacht wird. Über eine vorzeitige Entlassung entscheidet ein Gremium der jeweiligen Haftanstalt, der sogenannte Beobachtungsrat, der sich aus Vollzugpersonal ohne juristische Qualifikation und Befugnis zusammensetzt.
Einer der betroffenen Gefangenen ist der Kurde Abdülaziz Kolanç, der seit 31 Jahren inhaftiert und inzwischen schwer krank ist. Der heute 53-Jährige wurde 1994 in Izmir festgenommen und vor einem Staatssicherheitsgericht wegen separatistischer Umtriebe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. In der Türkei bedeutet „lebenslänglich“ in der Regel dreißig Jahre Gefängnis. Demnach hätte Kolanç im September 2023 freikommen können. Die Entscheidung über seine Entlassung ist jetzt zum dritten Mal um drei Monate verschoben worden. Als Grund werden in der Vollzugsanstalt in Afyon verhängte Disziplinarstrafen angeführt.
Abdülaziz Kolanç
Für die in Cizîr (tr. Cizre) lebenden Angehörigen ist die Situation schwer zu ertragen. Kolançs Neffe Islam Atça wirft dem türkischen Staat vor, sich nicht an die eigenen Gesetze zu halten: „Mein Onkel ist seit 31 Jahren im Gefängnis und kämpft mit seinen Erkrankungen. Er leidet unter Magenblutungen, Bluthochdruck und Diabetes. Wir wollen, dass er freigelassen wird. Es ist ein großes Unrecht. Die Regierung spricht immer von Recht und Justiz, aber wenn du Kurde bist, ist jede Handlung ein Verbrechen. Die politischen Gefangenen werden immer wieder gefragt, ob sie ihre Taten bereuen. Was sollen sie schon zu bereuen haben? Wer sich zu seiner Muttersprache bekennt und für die eigene Existenz einsetzt, wird in diesem Staat als Terrorist angesehen.“
Fotos: MA