BAMF-Schikane gegen Schutzsuchende

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überprüft Asylanträge von in Griechenland anerkannten und nach Deutschland aufgrund der Bedingungen in Griechenland weitergeflohenen Schutzsuchenden ein zweites Mal.

Aus der halbjährlichen Kleinen Anfrage der fluchtpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Clara Anne Bünger, zur Asylstatistik gehen eine ganze Reihe von wichtigen Informationen über die aktuellen asylpolitischen Entwicklungen hervor. In der aktuellen Antwort der Bundesregierung befinden sich prägnante Zahlenangaben zur Entscheidungspraxis in Bezug auf Schutzsuchende aus Afghanistan, in Griechenland anerkannten Schutzsuchenden, die nach Deutschland weiter fliehen müssen, und zur asylpolitischen Situation von LGBTI+-Geflüchteten. Aus der Anfrage wird erneut die offensichtlich in großen Teilen rechtswidrige Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) deutlich. Die Aufhebungsquote von BAMF-Bescheiden durch die Gerichte in Asylverfahren im Jahr 2021 lag bei 36 Prozent – sie stieg damit das zweite Jahr in Folge wieder an. Die Fehlentscheidungen des BAMF belasten die Gerichte extrem. Asylgerichtsverfahren dauern aufgrund der Überlastung der Gerichte mittlerweile durchschnittlich 26,5 Monate.

Aus Griechenland Weitergeflüchtete müssen Tortur des Asylverfahrens erneut durchleben

Die Lebensbebedingungen von Schutzsuchenden, die in Griechenland ankommen und dort Asyl beantragen müssen, sind katastrophal. Trotz Anerkennung leben die meisten von ihnen in der Obdachlosigkeit oder in katastrophalen Formen der Unterbringung. Viele leiden unter Hunger und Mittellosigkeit. Im Jahr 2021 flohen insgesamt 29.508 Menschen aus Griechenland weiter nach Deutschland, im Frühjahr 2022 lagen bereits 40.000 bei den Entscheidern auf Halde. Positiv ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Asylanträge nicht mehr wie lange Zeit zuvor, als „unzulässig“ abgewiesen wurden, da die Schutzsuchenden ja bereits in einem anderen EU-Staat anerkannt seien. Diese BAMF-Entscheidungen wurden regelmäßig von den Verwaltungsgerichten kassiert. Statt nun die Praxis dahingehend zu ändern, die Anerkennung in Griechenland unbürokratisch zu übernehmen, führt das BAMF erneut eine inhaltliche Prüfung durch. Dabei wird deutlich, dass diese selbst nach den Kriterien des BAMF überflüssig ist. Von den 1.323 inhaltlichen Entscheidungen zu dieser Flüchtlingsgruppe der in Griechenland Anerkannten fielen von Januar bis April 2022 97,4 Prozent positiv aus, d.h. es wurde ein Schutzstatus erteilt, „nur“ 34 in Griechenland Anerkannte wurden vom BAMF abgelehnt. Allerdings wurde fast ausnahmslos nur ein subsidiärer Schutzstatus erteilt (1.149 Fälle), kaum Flüchtlingsanerkennungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Unfaires „Downgrading“ des Asylstatus

Für etliche Betroffene bedeutet dies eine Einschränkung des in Griechenland gewährten Schutzstatus, da in Griechenland fast viermal mehr GFK-Status als subsidiärer Schutz erteilt werden. Dies könnte z.B. auf die strenge Entscheidungspraxis des BAMF im Umgang mit syrischen Wehrdienstflüchtlingen zurückzuführen sein, denen in der Regelung, entgegen eines EuGH-Urteils, Flüchtlingsschutz verweigert wird. Mit einem subsidiären Schutzstatus ist der Familiennachzug nur eingeschränkt möglich, das „Downgrading“ durch das BAMF führt somit insbesondere zu massiven Einschränkung für die Nachholung von Angehörigen. Clara Anne Bünger erklärt dazu: „Es ist absurd, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge von in Griechenland bereits anerkannten und nach Deutschland weitergeflohenen Schutzsuchenden erneut inhaltlich prüft. Mehr als 40.000 solcher Anträge haben sich in der Behörde seit Dezember 2019 angehäuft – von Menschen, die zwar in Griechenland einen Schutzstatus haben, dort aber ohne Unterstützung auf der Straße landeten. Wieder einmal werden so beim BAMF Ressourcen gebunden, die an anderer Stelle weitaus sinnvoller eingesetzt werden könnten. Das BAMF sollte sich konsequent an den in Griechenland erteilten Schutzstatus orientieren.“ Zu den Fluchtgründen aus Griechenland sagt Bünger: „Die politische Kampagne gegen die so genannte ‚Sekundärmigration‘ muss jetzt endlich beendet werden. Was können die Geflüchteten dafür, dass sie aus unmenschlichen Verhältnissen in Europa erneut fliehen mussten? Darauf mit weiteren Beschränkungen und Verschärfungen des Asylrechts zu reagieren, ist falsch und wird die Idee eines offenen Europas weiter beschädigen.“

Afghanistan: BAMF korrigiert politische Entscheidungspraxis

Das BAMF hat offensichtlich seine restriktive Entscheidungspraxis gegenüber Schutzsuchenden aus Afghanistan korrigiert. Im ersten Quartal 2022 erhielten 98,5 Prozent der Antragsteller:innen einen Schutzstatus. Ältere ablehnende BAMF-Bescheide zu afghanischen Geflüchteten wurden im selben Zeitraum zu 97 Prozent von den Gerichten aufgehoben. Das stellt eine deutliche Abkehr zur Vergangenheit dar, als vielen Menschen aus Afghanistan regelmäßig Schutz verweigert wurde mit der Begründung angeblicher inländischer Fluchtalternativen bzw. dass ihnen ein menschenwürdiges Überleben in Afghanistan irgendwie möglich sei. So betrug die bereinigte Schutzquote (die Quote der positiven inhaltlichen Entscheidungen) beim BAMF für das Herkunftsland Afghanistan 2021 nur 74 Prozent, im ersten Quartal 2022 lag sie bei 98,5 Prozent. Bünger unterstreicht, dass es höchste Zeit für diese Änderung der ursprünglich entlang politischer Vorgaben durchgeführten Entscheidungspraxis sei und erklärt, es sei bereits viel Schaden angerichtet worden: „ Viele Schutzbedürftige haben jahrelang in Angst vor einer Abschiebung leben müssen und wertvolle Zeit verloren, ohne Zugang zu Sprachkursen, und immer noch warten Zehntausende auf ihre Anerkennung. Die Gerichte wurden mit tausenden unhaltbaren Bescheiden geflutet und dadurch lahmgelegt. Seit Jahren weigert sich die Bundesregierung, die mangelhaften Afghanistan-Bescheide systematisch überprüfen und korrigieren zu lassen, um die Gerichte zu entlasten. Das Ergebnis sind überlange Gerichtsverfahren, die in niemandes Interesse sind, und hohe Kosten für die Steuerzahlenden, wegen der Vielzahl verlorener Asylklagen. Für viele kommt der Wandel in der Entscheidungspraxis zu spät: Sie wurden bereits in völlig unsichere und sich stetig verschlechternde Verhältnisse in Afghanistan abgeschoben. Das war von Anfang an unverantwortlich. BAMF-Präsident Sommer muss sich fragen lassen, warum er eine solch offenkundig verfehlte Entscheidungspraxis über Jahre hinweg laufen ließ.“

Bundesinnenministerium agiert offenbar gegen Schutzsuchende aus Afghanistan

Doch zumindest im Innenministerium scheint es Unzufriedenheit mit der Entscheidungspraxis zu geben. So sickerte eine skandalöse Anweisung des Innenministeriums an das BAMF im Februar 2022 durch, das BMI hatte angewiesen, dass jungen, gesunden alleinstehenden Männern aus Afghanistan in anhängigen Klageverfahren keinen Schutzstatus erhalten sollten, sondern sie auf den „Tagelöhner-Arbeitsmarkt“ in Afghanistan verwiesen werden müssten. Die Antwort der Bundesregierung auf die Konfrontation mit diesen Aussagen kommt einem Eingeständnis gleich: Die Bundesregierung erklärt, sie wolle diese „internen Arbeitsabläufe nicht kommentieren“.

Rechtwidrige Entscheidungspraxis gegenüber LGBTI+-Geflüchteten geht weiter

Auch die LGBTI+ diskriminierende Entscheidungspraxis des BAMF dauert an. Immer wieder wird entgegen einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs Geflüchteten LGBTI+-Personen der Schutz verweigert, da ihnen im Herkunftsland angeblich keine Verfolgung drohe, wenn sie sich „bedeckt“/“diskret“ verhalten würden. Das widerspricht den Menschenrechten. Das BAMF und die Bundesregierung halten an der bisherigen umstrittenen Praxis des BAMF jedoch fest. In der Antwort der Bundesregierung heißt es, dass zwar von Asylsuchenden im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung nicht erwartet werde, dass sie sich bedeckt halten, um einer möglichen Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zu entgehen. Aber: „Soweit Antragstellende in der Anhörung vortragen, dass sie weiterhin aus eigenem freien Willen und ohne Beeinträchtigung der persönlichen Identität (also nicht aus Angst erzwungen) beabsichtigen, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität im Verborgenen auszuleben, wird dies nach den derzeitigen internen Vorgaben bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit berücksichtigt.“ Das bedeutet, wer sich aus welchen Gründen auch immer nicht outen würde, könne abgelehnt werden. Bünger kommentiert: „Die Bundesinnenministerin muss das BAMF endlich zu einem EU-rechtskonformen Umgang mit LGBTIQ+-Schutzsuchenden auffordern. Es kann nicht sein, dass dort stur an Ablehnungen und Abschiebungen queerer Menschen festgehalten wird, die in ihrem Herkunftsland Verfolgung fürchten und ihre sexuelle Orientierung verheimlichen müssen.“