Anklage gegen Anwälte wegen Protest gegen Zwangsverwaltung

In Istanbul ist Anklage gegen neun Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erhoben worden. Im Zusammenhang mit einer Presseerklärung gegen die Einsetzung von Zwangsverwaltern in kurdischen Kommunen drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft.

Die Istanbuler Oberstaatsanwaltschaft hat Anklage gegen neun oppositionelle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erhoben. Den Jurist:innen wird im Zusammenhang mit einer Presseerklärung gegen die Einsetzung von Zwangsverwaltern in kurdischen Kommunen ein Verstoß gegen das türkische Versammlungs- und Demonstrationsgesetz Nr. 2911 vorgeworfen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft sowie Geldstrafen.

Angeklagt in dem Verfahren sind Akçay Taşçı, Avni Güçlü Sevimli, Gökmen Yeşil, Gülhan Kaya, Hüseyin Boğatekin, Kemal Aytaç, Sinan Zincir, Yaprak Türkmen und Eren Keskin. Letztere ist Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, die anderen Beschuldigten gehören den Juristenvereinigungen ÖHD und ÇHD an. Die inkriminierte Presseerklärung gaben sie am 20. August 2019 vor dem Justizpalast Çağlayan im Istanbuler Bezirk Şişli ab. Einen Tag zuvor ernannte die AKP/MHP-Regierung die Gouverneure der kurdischen Großstäde Amed (tr. Diyarbakir) Wan und Mêrdin zu Zwangsverwaltern und setzte die Oberbürgermeister:innen unter vage formulierten Terrorvorwürfen ab. Damit wurde eine neue Serie von Amtsenthebungen gewählter Stadtoberhäupter eingeleitet. Die HDP bezeichnete das staatliche Vorgehen gegen die kurdische Kommunalpolitik als „Putsch“. Insgesamt wurden 59 von 65 demokratisch gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister abgesetzt. Ein Großteil wurde in der Folge verhaftet, aktuell sitzen noch mindestens sechs von ihnen im Gefängnis.

Protest der Anwält:innen am 20. August 2019 vor dem Justizpalast Çağlayan

Erhoben worden ist die Anklage gegen die Jurist:innen nach Artikel 32/3 des Gesetzes Nr. 2911. Dieser bestraft die Organisation, Leitung und Teilnahme an einer gesetzwidrigen Versammlung oder Demonstration bei gewaltsamem Widerstand gegen die Auflösung mit drei bis fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe. Dabei waren es die Beschuldigten, die von der Polizei angegriffen und teilweise mit Gewalt vom Platz gezerrt worden waren. Angestrengt wurde das Verfahren von mehreren Beamten der Bereitsschaftspolizei, die aufgrund des „Widerstands gegen die Versammlungsauflösung” verletzt worden sein sollen.

Wann der Prozess beginnen soll, ist derweil noch unklar. Die Anklageschrift muss noch formell von einem Gericht angenommen werden.