Alpsoy: Einschränkung von Rechten als juristische Praxis

In der Türkei werden gerichtliche Kontrollbefehle laut Rechtsanwalt Şükrü Alpsoy in letzter Zeit zu einer Einschränkung der Grundrechte und -freiheiten der Menschen missbraucht. Er verweist darauf, dass diese Praxis zu vielen Rechtsverletzungen führt.

Kontrollbefehle als Abschreckung

Die im türkischen Strafgesetzbuch vorgesehene richterliche Kontrolle als alternative Maßnahme zur Inhaftierung ist zu einer weit verbreiteten Praxis geworden. Diese Maßnahme wird auf einen großen Teil der Gesellschaft angewandt, insbesondere auf die Opposition.

Şükrü Alpsoy, ein Anwalt der Vereinigung freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD), erklärte gegenüber ANF die juristische Praxis in der Türkei, Inhaftierungen und gerichtliche Kontrollanordnungen als Präventivmaßnahme gegen die Ausübung grundlegender, demokratischer Rechte einzusetzen und somit die Gesellschaft von der Wahrnehmung dieser Rechte abzuschrecken.

Inhaftierung bei einfachen Anschuldigungen

Rechtsanwalt Alpsoy erklärte, dass „die Inhaftierung eine Präventivmaßnahme im Strafgesetzbuch ist und nur in Ausnahmefällen angewendet werden sollte. Es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die auf einen dringenden Tatverdacht, die Gefahr der Beeinträchtigung von Beweismitteln oder Fluchtgefahr hindeuten. Eine dritte Bedingung ist, dass die Inhaftierung verhältnismäßig sein muss, und ein Teil dieser Verhältnismäßigkeit ist die Frage, ob eine gerichtliche Kontrolle ausreichend wäre“.

In der Praxis werde jedoch „die Inhaftierung oft schon bei einfachen Anschuldigungen angeordnet, etwa bei Handlungen im Zusammenhang mit dem Recht, sich zu organisieren, der Meinungs- und Pressefreiheit. Selbst wenn keine Gefahr der Manipulation von Beweisen oder der Flucht besteht und eine richterliche Kontrolle ausreichen würde, wird die Inhaftierung angeordnet“.

Was ist ein gerichtlicher Kontrollbefehl?

Wird wegen einer Straftat ein Ermittlungsverfahren geführt und liegen bestimmte Haftgründe vor, kann anstelle einer Inhaftierung entschieden werden, verdächtige Personen oder Angeklagte unter gerichtliche (auch richterliche) Kontrolle zu stellen, wenn die Inhaftierung im konkreten Fall unverhältnismäßig ist. Sie ist somit eine Alternativmaßnahme zur Inhaftierung.

Alpsoy vertritt die Ansicht, dass die richterliche Kontrolle in diesem Sinne einer Inhaftierung gleichkomme. Wenn es keine konkreten Beweise gebe, die eine Inhaftierung rechtfertigten, sei ihm zufolge auch die richterliche Kontrolle unnötig.

„Richterliche Kontrolle ist eine schwerwiegende Maßnahme“

In Anbetracht der Kontrollanordnung als Alternativmaßnahme fügte Alpsoy hinzu: „Das bedeutet aber nicht, dass jemand, der nicht inhaftiert ist, automatisch unter richterliche Kontrolle gestellt werden muss. Wenn alle Voraussetzungen für eine Inhaftierung erfüllt sind, kann die Inhaftierung angewandt werden. Wenn die richterliche Kontrolle ausreicht, kann sie stattdessen angewandt werden.“ Er führte weiter aus: „Die richterliche Kontrolle ist eine schwerwiegende Maßnahme, für die dieselben Rechtsgrundlagen gelten wie für die Inhaftierung.“

„Die meisten Inhaftierungen sind rechtswidrig“

Bezüglich der gängigen juristischen Praxis in der Türkei urteilte der Rechtsanwalt: „In der Praxis ist dieses Verständnis jedoch nicht gegeben. Bereits die meisten Inhaftierungen sind rechtswidrig, und darüber hinaus gibt es die Idee, zumindest eine gerichtliche Kontrolle durchzuführen, damit sie nicht frei herumlaufen können.“

Maßnahmen gerichtlicher Kontrolle verstoßen gegen Grundfreiheiten

Die Maßnahmen einer richterlichen Kontrolle können unterschiedliche Einschränkungen oder Auflagen umfassen. Sie reichen von Ausreiseverboten über Meldepflichten und Führerscheinentzug bis hin zu medizinischen Behandlungs- und Untersuchungsmaßnahmen, Hinterlegung einer Kaution sowie dem Verbot bestimmte Ort zu betreten oder zu verlassen.

Vor diesem Hintergrund fügte Rechtsanwalt Alpsoy hinzu, dass gerichtliche Kontrollmaßnahmen „die Grundrechte und -freiheiten einschränken und als ernsthafte Abschreckung für die Ausübung der Rechte der Bürger:innen wirken“. Alpsoy konkretisierte seine Aussage: „Ein internationales Reiseverbot verstößt beispielsweise gegen das Recht zu reisen und die Freiheit, das Land zu verlassen. Es verstößt auch gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit müssen Anwälte möglicherweise ins Ausland reisen. Manche Menschen haben Ehepartner:innen, Verwandte oder Freund:innen, die im Ausland leben, und können sie nicht besuchen. Manchmal können sich gerichtliche Kontrollmaßnahmen über Jahre hinziehen.“

Ausübung von Rechten als Grund richterlicher Kontrolle

Er wies auch darauf hin, dass „die Handlungen, die als Grund für die gerichtliche Kontrolle herangezogen werden, oft die Ausübung von Rechten wie dem Recht auf Protest, dem Recht auf Organisation, der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung betreffen. In letzter Zeit wurden viele Menschen wegen Anschuldigungen wie Propaganda oder Beleidigung des Präsidenten inhaftiert oder gerichtlich kontrolliert. All dies verstößt gegen die Ausübung der Grundrechte“.

Abschreckungseffekt

Wie auch Entscheidungen des türkischen Verfassungsgerichts bestätigten, verstößt eine gerichtliche Kontrolle, die aufgrund der Ausübung beispielsweise des Rechts auf freie Meinungsäußerung angeordnet wird, gegen eben dieses Recht.

Der Anwalt stellte die gesellschaftliche Wirkung dieser Rechtsverstöße wie folgt dar: „Dies führt zu einem so genannten Abschreckungseffekt, ein Begriff, auf den in Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte häufig Bezug genommen wird. Wenn Menschen bei der Ausübung ihrer Rechte behindert werden und diese Behinderung sie oder die Gesellschaft davon abhält, diese Rechte zu nutzen, dann bedeutet dies, dass die Grundrechte verletzt wurden.“

„Die Gesellschaft wird von innen her eingesperrt“

Rechtsanwalt Alpsoy kam zu dem Schluss, dass „fast niemand von gerichtlichen Kontrollmaßnahmen verschont geblieben ist. Unter solchen Bedingungen können die Menschen Angst und Druck verspüren, wenn sie versuchen, ihre Grundrechte und -freiheiten auszuüben. Dies greift in das Wesen dieser Rechte ein. Die weit verbreitete Anwendung der gerichtlichen Kontrolle bedeutet im Grunde genommen, dass die Gesellschaft von innen her eingesperrt wird“.