Halise Aksoy ohne Beweise verurteilt

Halise Aksoy, der die Leiche ihres Sohnes Agit Ipek in einem Postpaket zugestellt worden war, ist allein aufgrund von Zeugenaussagen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, obwohl der Oberste Gerichtshof solche Praktiken untersagt.

Unrechtmäßiges Verfahren in der Türkei

Halise Aksoy, Friedensaktivistin und Mutter des gefallenen Guerillakämpfers Agit Ipek, dessen Leiche ihr per Kargo zugestellt wurde, war im April 2023 wegen Aussagen des Kronzeugen Ü. A. in Amed (tr. Diyarbakır) verhaftet worden. Ein Jahr später wurde dieser Haftbefehl auf Antrag ihrer Verteidiger:innen Zeynep Karayılan und Necat Çiçek wegen fehlender Fluchtgefahr aufgehoben (ANF berichtete). Der Prozess gegen die Kurdin wurde fortgesetzt. Das in diesem Februar ausgesprochene Urteil sei nach Rechtsanwalt Necat Çiçek politisch motiviert und nicht ausreichend mit Beweisen untermauert. Er kündigte rechtliche Schritte der Angeklagten dagegen an.

Sechs Jahre und drei Monate Gefängnis

Halise Aksoy wurde aufgrund der Aussagen eines geständigen Zeugen, Ü. A., wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Das zehnte Hohe Strafgericht von Amed (tr. Diyarbakır) gab am 7. Februar die Begründung für sein Urteil bekannt. Das Gericht stützte sich bei der Urteilsfindung auf die Aussage von Ü. A. sowie auf die Aussagen des Zeugen S. K., die während der Ermittlungsphase vernommen wurde, aber während der Anklagephase nicht als Zeuge geladen war.

Urteil ohne Beweise

Die Urteilsbegründung bezieht sich auf die Aussagen des geständigen Zeugen Ü. A. und des Zeugen S. K., die behaupteten, die Wohnung von Halise Aksoy sei ein „sicheres Haus“, in dem Mitglieder der Organisation – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – untergebracht seien. In den Ausführungen hieß es weiter, dass Aksoys Kinder der Organisation beigetreten seien, dass sie als „geschätztes Familienmitglied“ gelte und dass ihre Wohnung als Treffpunkt und Unterschlupf für Mitglieder genutzt werde. Trotz dieser Behauptungen wurden in dem Urteil neben den Zeug:innenaussagen keine weiteren Beweise zur Untermauerung der Anschuldigungen gegen Aksoy vorgelegt. Das Gericht akzeptierte die Aussagen als Tatsachen und verurteilte Halise Aksoy allein auf dieser Grundlage wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“.

Unrechtmäßige Verfahrensführung

Der Anwalt der Angeklagten, Necat Çiçek, erklärte, dass sie gegen diese Entscheidung Revision beim Berufungsgericht einlegen würden. Mit Verweis darauf, dass der geständige Zeuge Ü. A. gegen Hunderte von Personen ausgesagt habe, betonte Çiçek, dass bereits festgestellt worden sei, dass seine Aussagen unrechtmäßig erlangt worden seien. Er wies auch darauf hin, dass alle ihre Anträge auf Aufnahme von Ü. A.s Aussagen über andere Personen in die Akte, abgelehnt worden seien. Außerdem stellte Çiçek fest, dass während der Aussage von Ü. A. der Anwalt, der das Aussageprotokoll unterzeichnete, zur gleichen Zeit bei einer anderen Anhörung im Gericht anwesend war. Er erklärte, dass trotz der Vorlage aller erforderlichen Beweise und Dokumente an das Gericht bezüglich dieser Unregelmäßigkeit, ihre Einwände vollständig ignoriert worden seien. Çiçek argumentierte, dass das Verfahren unter diesen Umständen nicht rechtmäßig durchgeführt wurde.

„Der Zeuge hat ein Interesse an solchen Falschaussagen“

Mit Bezug darauf, dass die Aussagen des Hauptbelastungszeugen auf Hörensagen basierten, sagte der Anwalt: „Er behauptete, dass meine Mandantin ihre Wohnung als ‚Unterschlupf‘ benutzte. Ein anderer Zeuge, dessen Aussage in die Prozessakte aufgenommen wurde, widersprach jedoch Ü. A.s Aussagen. Der geständige Zeuge Ü. A. machte zahlreiche Falschaussagen, um sich rechtliche Vorteile zu verschaffen. Tatsächlich haben Gerichte bereits Freisprüche in Fällen ausgesprochen, in denen als einziges Beweismittel die Aussage von Ü. A. herangezogen wurde, da sie diese nicht für überzeugend hielten.“

Das Urteil war politisch motiviert

Rechtsanwalt Necat Çiçek wies darauf hin, dass die Aussagen des Zeugen S. K., der während der Ermittlungsphase vernommen wurde, später aber nicht mehr vor Gericht aussagen durfte, dennoch als Grundlage für das Urteil herangezogen wurden. Er erklärte: „Das Gericht, das meine Mandantin angeklagt hat, hat viele andere Angeklagte mit den gleichen Vorwürfen freigesprochen. Wenn man sich den Verlauf dieses Falles ansieht, ist es klar, dass das Urteil politisch motiviert ist. Der Sohn meiner Mandantin war ein Militanter der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und hat sein Leben verloren. Von Anfang an wurde meine Mandantin dazu befragt, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Nur weil sie sagte: ‚Für mich ist mein Sohn ein Gefallener‘, ordnete das Friedensrichteramt sofort ihre Verhaftung an, ohne weitere Fragen zu stellen. Aus diesem Grund ist das Urteil gegen meine Mandantin juristisch nicht gerechtfertigt, es ist eine politisch motivierte Entscheidung.“

Anwalt kündigt rechtliche Schritte an

Çiçek erklärte, dass sie gegen das Urteil Berufung einlegen würden und betonte, dass die Akte in ihrer jetzigen Form keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ biete. Er unterstrich, dass das Urteil demnach in der Berufungsinstanz oder vom Kassationsgericht aufgehoben werden müsse.