Die sogenannten Anker-Zentren stellten eines der Prestigeprojekte von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und der Union dar. Unter Zustimmung des Koalitionspartners SPD werden Schutzsuchende mit angeblich geringer Bleibeperspektive gezwungen, in solchen eingezäunten Lagern zu leben. Die Unterbringung in diesen isolierten Lagern eskalierte während der Corona-Pandemie immer wieder zu Internierung. Schutzsuchende wurden daran gehindert, die Lager zu verlassen. Menschenrechtler:innen sprachen von regelrechten „Durchseuchungsversuchen“ in den Unterbringungen. Aus einer Kleinen Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, geht nun hervor, dass das Argument, durch die Anker-Zentren Asylverfahren zu beschleunigen, nicht zutrifft. Stattdessen sind die Verfahrensdauern länger als im Bundesdurchschnitt.
„Peinliche Bilanz für Seehofer“
Jelpke erklärt: „Peinliche Bilanz für Seehofer: Asylverfahren in so genannten Anker-Zentren und ähnlichen Einrichtungen dauerten im ersten Quartal 2021 mit 7,5 Monaten erheblich länger als im allgemeinen Durchschnitt mit 6,5 Monaten. Seehofer hatte im Sommer 2019 mit angeblich deutlich kürzeren Bearbeitungszeiten geprahlt, doch nun zeigt sich, dass die Anker-Zentren vor allem ein Ziel verfolgen: Isolation und Abschreckung. Schon die Evaluation der Anker-Zentren durch das BAMF [Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] hatte gezeigt, dass es dort keine wesentlich schnellere Bearbeitung von Asylanträgen gibt. Die Behauptung, allein die räumliche Konzentration mehrerer Behörden auf engem Raum werde für eine Beschleunigung sorgen, ist nachweislich falsch. Ohnehin darf die Verfahrensbeschleunigung kein Selbstzweck sein, Asylverfahren müssen zügig, aber vor allem gründlich und fair verlaufen.“
„Isolierte Kasernierung schneidet Schutzsuchende von Zivilgesellschaft ab“
Weiter erklärt die Abgeordnete: „Große Massenunterkünfte sind nicht nur in der Pandemie eine schlechte Idee. Denn durch die isolierte und beengte Kasernierung in Anker-Zentren werden Schutzsuchende von unabhängigen Beratungsstrukturen und der unterstützenden Zivilgesellschaft abgeschnitten. Hier braucht es dringend eines grundlegenden Wandels in der Asylpolitik, hin zur dezentralen Unterbringung. Das Ende von Seehofers Amtszeit wäre hierfür ein sehr guter Anlass.“
Anker-Zentren – Staatliche Vorverurteilung in Beton gegossen
Die Abkürzung ANKER steht für „Ankunft, kommunale Verteilung, Entscheidung und Rückführung“. Entgegen der Behauptung, Schutzsuchende würden nur vorübergehend nach ihrer Ankunft oder wegen angeblich schlechter Bleibeperspektive dort untergebracht werden, werden insbesondere in Bayern Schutzsuchende mit jeglichem Status dort teilweise jahrelang untergebracht. Bis zu 1.000 Menschen leben in Mehrbettzimmern und müssen sich sanitäre Anlagen und Räume teilen. Immer wieder kommt es wie in Bamberg geschehen zu Übergriffen des Sicherheitspersonals und sogenannten präventiven Polizeirazzien. Der Flüchtlingsrat Bayern berichtet, dass den Bewohner:innen Alltagsgegenstände wie Haartrockner, Wasserkocher oder Essen abgenommen werden. Geflüchtete in ANKER-Einrichtungen haben keine Privatsphäre und sind einer ständigen Kontrolle und Überwachung ausgesetzt. Der Flüchtlingsrat berichtet: „Weitere Grundrechte werden in den Sonderlagern ausgesetzt: Kinder werden meist nur rudimentär direkt in den Einrichtungen beschult, statt die Regelschulen besuchen zu dürfen. Auch eine umfassende Kinderbetreuung für die jüngeren Kinder ist nicht gegeben. Sachleistungsprinzip und Residenzpflicht schränken die Bewegungsfreiheit und die Selbstbestimmung der Menschen massiv ein.“
Die Unterbringung von Schutzsuchenden mit angeblich geringer Bleibeperspektive stellt zudem eine Vorverurteilung dar. Kritiker:innen befürchten dadurch Nachteile für die Betroffenen im Asylverfahren.