„Wir brauchen eine Politik im Verständnis kurdischer Werte”

In Amed findet eine Konferenz zur „Einheit des kurdischen Volkes gegen die Kräfte der Unterdrückung und Repression” statt. Wir haben mit dem Politiker Ahmet Türk gesprochen. Er fordert eine neue Politik im Verständnis der Bedeutung kurdischer Werte.

Anfang Dezember kamen in Amed (Diyarbakir) mehrere kurdische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen, um eine gemeinsame Haltung zu den Angriffen des Erdoğan-Regimes zu entwickeln. Auf dem Treffen war beschlossen worden, die „Einheit des kurdischen Volkes gegen die Kräfte der Unterdrückung und Repression” aufzubauen und eine Konferenz in diesem Sinne zu veranstalten.

Wie angekündigt hat die zweitägige Konferenz gestern in Amed begonnen. An der Versammlung nehmen die Demokratische Partei der Völker (HDP), die Partei der Demokratischen Regionen (DBP), der Kongress für eine Demokratische Gesellschaft (DTK), der revolutionärdemokratische kurdische Verein DDKD, die Demokratische Partei Kurdistans-Türkei (PDK-T), die PDK-Nord (PDK-Bakur), die Menschenrechts- und Freiheitspartei, die Azadî-Bewegung, die Azadî-Partei und die Kommunistische Partei Kurdistans (KKP), Aktivistinnen der kurdischen Frauenbewegung TJA sowie Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und Meinungsführer*innen aus der Region teil.

Wir hatten am Rande der Zusammenkunft die Möglichkeit, mit Ahmet Türk zu sprechen. Der langjährige Politiker und im Zuge des politischen Putsches der türkischen Regierung gegen die von der HDP verwalteten kurdischen Kommunen abgesetzte Bürgermeister der Metropole Mêrdîn (Mardin) äußerte sich in dem Gespräch zu den Bestrebungen, eine innerkurdische Einheit aufzubauen. Türk findet, dass eine Einheit im Kontext der türkischen Expansionspolitik die wichtigste Notwendigkeit für die Zukunft des kurdischen Volkes ist.

„Schon seit Jahren setzen wir uns in Nordkurdistan für dieses Ziel ein. Gelegentlich fand zwar ein Austausch mit den politischen Parteien in Südkurdistan statt. Mittlerweile sind wir jedoch an einem Punkt angelangt, an dem es unvermeindlich ist, uns zusammenzuschließen und gemeinsam zu handeln. Jetzt tauschen wir Ideen mit politischen Akteuren aus, die wir in der Vergangenheit keines Blickes würdigten. Diese neue Situation macht uns Hoffnung”, sagte Türk.

Kurdische Einheit schafft gemeinsamen Willen

Die Möglichkeiten für eine kurdische Einheit seien da, und die Zeit sei reif für Entscheidungen, erklärt der 77-Jährige weiter. „Es gibt da ein chinesisches Sprichwort, das besagt: ‚Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, solange sie Mäuse fängt.’ Die in Rojava begonnenen Aktivitäten zum Aufbau einer innerkurdischen Einheit sollten hier unter Einbeziehung der Bevölkerung weiter vorangebracht werden. Ansonsten reichen Konferenzen und Entscheidungen auf dem Papier nicht aus. Diesem Prozess müssen ernstzunehmende Handlungen folgen, um die Menschen zusammenzubringen und zu mobilisieren.

In dieser Angelegenheit müssen wir alle eine konsequente Haltung annehmen. Aber wir müssen auch realistisch sein. Unser Volk wurde in der letzten Zeit faktisch zum Schweigen gebracht. In Qoser (Kızıltepe) beispielsweise gewinnen wir Wahlen mit 80 Prozentpunkten, aber auf Kundgebungen erscheinen nur 200 bis 300 Menschen. Das Problem liegt nicht bei der Bevölkerung. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Es ist aber notwendig, eine Botschaft zu haben, welche die Öffentlichkeit ermutigt und mobilisiert. Wir brauchen eine Politik, der sich die Bevölkerung verbunden fühlt. Das kurdische Volk ist wegen den Angriffen empört, aber den Politikern fehlt es an Lösungen, die diese Wut kanalisieren.“

Türk unterstreicht, dass einige Parteien im Mittleren Osten eine Gleichgewichtspolitik betreiben. Je nach Situation diene dieses ausgewogene Kräfteverhältnis als eine Art Schutzschild. „Diese Politik wird keinen Nutzen für die Zukunft haben. Der Grund ist einfach: Wir müssen vereint mit unserem Volk sein. Die Kräfte im Mittleren Osten gehen bereits auf allen Seiten in die Offensive gegen die Kurden und handeln gemeinsam, um die Errungenschaften der Kurden zu vernichten. Gerade deshalb sollten sich unsere politischen Akteure an der Seite ihres Volkes positionieren. Wir müssen eine Politik im Verständnis der Werte der kurdischen Einheit verfolgen, die alle mit einbezieht. Ich möchte niemandem die Schuld geben, aber wir haben nunmal dieses Manko.“

An Errungenschaften des Volkes orientieren

Insbesondere in Südkurdistan schafften es gewisse Kräfte nicht, sich aus den Fängen der internationalen Mächte zu befreien, da sie Angriffe befürchten. „Es war genau dieser Ansatz, der in der Vergangenheit die Einberufung einer Konferenz für die kurdische Einheit verhinderte. Solange sich die politischen Akteure nicht an den Erfolgen und Errungenschaften der Bevölkerung orientieren und nicht an ihr Volk glauben, werden sie ständig Angriffe zu befürchten haben.“

Türk erinnerte daran, dass das kurdische Volk derzeit einen wichtigen und kritischen Prozess durchläuft und diese Gelegenheit nutzen sollte. „So eine Möglichkeit hat man nicht alle Tage. Wir stehen heute an einem Punkt, an dem die Kurden für jeden in der Welt ein Begriff sind. Sie sind in vielerlei Hinsicht federführend. Sollten die Kurden diese Gelegenheit ungenutzt vorübergehen lassen, werden alle ihrer Errungenschaften angegriffen. Für Kurdistan wird dies schwerwiegende Folgen haben. Doch nutzen die Kurden die Chance und erreichen ihre Einheit, kann sich das nur positiv auswirken. Es wäre der Aufbruch in eine neue Ära.“