2017 von der türkischen Armee zerstört
Der Gefallenenfriedhof Garzan, einst letzte Ruhestätte für hunderte Kämpfer:innen der kurdischen Bewegung, ist über sieben Jahre nach seiner gewaltsamen Zerstörung erstmals wieder medial dokumentiert worden. Der Journalist Adnan Bilen von der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) konnte trotz bestehender Zutrittsverbote einen Blick auf das Gelände werfen, das sich heute als weitgehend zerstört, überwuchert und streng militärisch überwacht präsentiert.
Krieg gegen die Toten
Zwischen den Dörfern Oleka Jor und Oleka Jêr in der kurdischen Provinz Bedlîs (tr. Bitlis) gelegen, wurde der Friedhof im Dezember 2017 Ziel einer großangelegten Operation der türkischen Armee. Vom 8. bis 13. Dezember desselben Jahres wurden sämtliche Grabsteine zerstört, die Friedhofstafel entfernt und der Zugang zur Region durch das Gouverneursamt gesperrt. Zwischen dem 14. und 17. Dezember wurden alle Gräber geöffnet und die sterblichen Überreste von mindestens 267 Kämpfer:innen der HPG, YJA Star, YPG und YPJ an einen zunächst unbekannten Ort verbracht.
Unter Gehweg begraben
Erst im Januar 2018 erklärte die Provinzverwaltung, die Leichname seien zur Identifizierung an das Institut für Rechtsmedizin (ATK) in Istanbul überführt worden. Einige Wochen später wurde bekannt, dass ein Großteil der Überreste auf dem jüdischen Friedhof Kilyos unweit des gleichnamigen Badeortes am europäischen Eingang des Bosporus begraben wurden – in Plastikboxen verpackt und aufeinandergestapelt in einem Abschnitt für „Tote ohne Namen“ und unter einem Gehweg. Dies löste breite Proteste unter Angehörigen und in der kurdischen Bevölkerung aus. Seitdem bemühen sich viele Familien um die Rückführung der Gebeine. Etwa 30 der Exhumierten konnten nach mehreren behördlichen Anträgen und DNA-Abgleichen an ihre Familien übergeben werden. Der Verbleib von über 230 weiteren Leichnamen ist weiterhin ungeklärt.
Fotos zeigen trostloses Bild
Die aktuelle Bilddokumentation durch MA zeigt ein trostloses Bild vom Gefallenenfriedhof Garzan: Selbst die Überreste der einstigen Gräber sind zerstört, Grabsteine zerschlagen, das Areal ist vollständig von Unkraut überwuchert. Sichtbar sind auch die Spuren schwerer Maschinen, mit denen die Grabanlagen damals abgetragen wurden. Weder von der einst errichteten Moschee noch von der als Akademie geplanten Bildungsstätte sind noch bauliche Spuren erhalten.
Unmittelbar neben dem ehemaligen Friedhof wurde ein militärischer Beobachtungsturm errichtet. Der Zutritt zu der Region, insbesondere für Außenstehende, ist seit der Zerstörung der Grabanlage untersagt – und wird durch Militär- und Kontrollposten strikt überwacht.

Eingriffe in das zivile Leben
Auch in den umliegenden Dörfern dauern die Einschränkungen an. Der Zugang ist nur mit gültigem Personalausweis und Wohnsitznachweis möglich. Selbst nahe Angehörige von Dorfbewohner:innen werden abgewiesen. 2023 wurde etwa einer Frau der Zugang verwehrt, weil sie in islamischer Ehe verheiratet war und keinen offiziellen Trauschein vorlegen konnte.
Zusätzlich zu den Zugangsbeschränkungen gilt in der Region seit Jahren eine sogenannte „Lebensmittelquote“: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Grundnahrungsmitteln wird durch das Militär reguliert, um zu unterbinden, dass die kurdische Guerilla von der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt werden könnte. Diese Einschränkungen werden von regelmäßigen Operationen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen begleitet. Zwischen 2018 und 2024 wurden hunderte Dorfbewohner:innen festgenommen – allein im Jahr 2023 mehr als 400, von denen viele bis heute inhaftiert sind.
Lückenlose Überwachung in Şêx Cûma
Das Gebiet um Geliyê Şêx Cûma, in dem der Garzan-Friedhof liegt, ist heute nahezu vollständig militarisiert. An fast jedem Berghang, an vielen Wegen und sogar innerhalb der Dörfer wurden militärische Beobachtungstürme installiert. Die Überwachung erfolgt 24 Stunden täglich, ergänzt durch Kamerafallen. Im ehemaligen Friedhofsbereich wurden zudem Hochspannungsleitungen installiert – ein weiteres Zeichen der vollständigen Kontrolle und Isolierung der Region.

Symbolisches Gewicht und anhaltender Protest
Der Garzan-Friedhof war vor seiner Zerstörung ein bedeutender symbolischer Ort für die kurdische Gesellschaft, ein Ort des Gedenkens, der kollektiven Identität und der spirituellen Verbundenheit mit den Gefallenen der Bewegung. Die Zerstörung und die bis heute ungeklärten Schicksale der exhumierten Leichname haben tiefe Spuren in der kollektiven Erinnerung hinterlassen – und Adnan Bilens Bilder werfen ein Schlaglicht auf das Ausmaß der staatlichen Repression in der Region. Die Bevölkerung vor Ort lebt unter einem Zustand permanenter Kontrolle, Einschränkung und Angst. Viele hoffen nun, dass mit dem Friedensaufruf der kurdischen Bewegung an den türkischen Staat auch politischer Druck entsteht, um Zugang nach Garzan zu ermöglichen, Rechte wiederherzustellen und eine gesellschaftliche Wunde zu heilen.