Panel der Marxistischen Schule in Wan: „Ohne Straße keine Demokratie“

In Wan stellte sich die in Amed gegründete Marxistische Schule mit einem öffentlichen Panel vor. Politiker:innen, Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen diskutierten über die Bedeutung marxistischer Theorie für gesellschaftlichen Wandel.

Dibistana Marksîst li Amedê

Die in Amed (tr. Diyarbakır) gegründete „Marxistische Schule“ stellte sich am Sonntag in der kurdischen Stadt Wan (Van) mit einem öffentlichen Panel vor. Im Zentrum der Veranstaltung der Dibistana Marksîst li Amedê, an der Vertreter:innen aus Politik, Bildung und Zivilgesellschaft teilnahmen, standen Fragen nach Demokratieverständnis, Gleichberechtigung und der Rolle der kurdischen Gesellschaft im politischen Wandel.

Die Veranstaltung, organisiert in Kooperation mit der Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, wurde unter anderem vom DEM-Abgeordneten Sinan Çiftyürek, dem Sprecher der Kurdischen Sprachplattform Şerefxan Cizîrî sowie den Rechtsanwälten Kadir Kutevi und Idris Aldı begleitet.

Demokratie braucht öffentliche Räume

In den Vorträgen betonten die Redner:innen übereinstimmend die Bedeutung des öffentlichen Raums für demokratische Prozesse. Anwalt Idris Aldı erklärte: „Demokratie existiert nicht ohne Straße – wenn Menschen ihre Meinung nicht äußern oder ihre Rechte nicht einfordern können, ist das keine Demokratie.“ Er verwies dabei auf die Entmachtung gewählter Vertreter:innen durch staatlich eingesetzte Zwangsverwalter und sprach von einer systematischen Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung.

Kulturelle Selbstbestimmung und marxistische Analyse

Şerefxan Cizîrî hob in seinem Beitrag die Relevanz marxistischer Analyse für die Auseinandersetzung mit Identität, Sprache und gesellschaftlicher Struktur hervor. „Wenn wir uns selbst verstehen wollen, müssen wir in die Tiefe unserer eigenen Gesellschaft blicken – auch mit Hilfe von Marx und anderen Denker:innen“, sagte er. Die Rolle der Frauen in der Gesellschaft und der historische Ausschluss kurdischer Frauen seien dabei zentrale Themen.

Bildung als Mittel gesellschaftlicher Transformation

Der DEM-Abgeordnete Sinan Çiftyürek verglich die Marxistische Schule mit der historischen „Frankfurter Schule“ und betonte, dass sie sich zum Ziel gesetzt habe, einen Raum für kritisches Denken in Kurdistan zu schaffen. Neben gesellschaftstheoretischen Fragen werde auch die Geschichte des gelebten Sozialismus und der Wandel der Rolle von Intellektuellen in Umbruchphasen diskutiert. „Es geht um Vorbereitung auf Veränderung durch Aufklärung und Bildung“, so Çiftyürek.

Historische Perspektive: Zentralisierung und Kolonialisierung

Der Jurist Kadir Kutevi bot eine historische Einordnung der kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen und ihrer systematischen Schwächung durch staatliche Zentralisierung seit dem Osmanischen Reich. Bereits mit der Tanzimat-Reform seien lokale kurdische Machtstrukturen gezielt untergraben worden. Spätestens mit dem Vilayet-System sei eine langfristige Entmachtung eingeleitet worden, die schließlich in eine koloniale Kulturpolitik mündete.

Das Panel endete mit einer offenen Diskussion zwischen Publikum und Redner:innen. Die Organisator:innen kündigten weitere Veranstaltungen in anderen Städten der Region an.