GfbV warnt vor Eskalation nach innen
Nach den jüngsten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran warnt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vor einer möglichen Repressionswelle gegen ethnische und religiöse Minderheiten innerhalb Irans. Die Führung in Teheran werde angesichts der öffentlich diskutierten Frage, wie Israel verdeckt auf iranischem Boden operieren konnte, kaum selbstkritisch nach innen blicken – sondern die Schuld stattdessen bei ethnischen und religiösen Minderheiten suchen, sagte GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido am Montag in Göttingen.
Kurden und Baháʼí im Fokus der Repression
Besonders betroffen sein könnten demnach die kurdische Bevölkerung, christliche Konvertit:innen und die Baháʼí-Religionsgemeinschaft, die vom iranischen Regime seit Jahrzehnten unter Generalverdacht gestellt würden. Bereits in der Vergangenheit seien sie immer wieder als angebliche Handlanger Israels diffamiert worden. Sido befürchtet, dass in den kommenden Tagen weitere kurdische Aktivist:innen festgenommen oder sogar hingerichtet werden könnten. „Auch neue Angriffe auf das benachbarte, friedliche Irakisch-Kurdistan sind möglich“, so der Nahostexperte.
Feindbild Israel instrumentalisiert
Nach Angaben der GfbV nutzen derzeit auch schiitische Milizen und sunnitisch-nationalistische Gruppen die Eskalation, um antijüdische und antiisraelische Ressentiments weiter zu schüren – sowohl in Iran als auch in Nachbarstaaten. Selbst in der Türkei wird laut GfbV vereinzelt suggeriert, Israel könne sie als Nächstes angreifen.
„Auch wenn die radikalen Schiiten und Sunniten untereinander verfeindet sind, verbindet sie der gemeinsame Hass gegen Juden, Kurden und gegen universelle Werte wie Demokratie und Menschenrechte“, sagte Sido. Dies sei Teil eines geopolitischen Machtkampfs, bei dem sowohl das iranische Regime als auch die türkische Regierung hegemoniale Ziele verfolgen: Ersteres in Form eines persisch-schiitischen Großreichs, letzteres durch eine neo-osmanisch-sunnitische Einflusszone. Kurd:innen, Alawit:innen, Drus:innen, Alevit:innen und Belutsch:innen seien dabei ein Hindernis.
Föderalismus statt Repression
Gleichzeitig werde in Iran der Ruf nach einem demokratischen Wandel lauter. „Eine große Mehrheit der iranischen Bevölkerung wünscht sich eine andere, demokratische Ordnung, jedoch nicht den Austausch einer Diktatur durch eine andere, wie es im Falle Syriens geschehen ist. Die nicht-persischen und nicht-schiitischen Volksgruppen streben nationale, sprachliche, kulturelle und vor allem vollständige Glaubens- und Meinungsfreiheit an. Dies ist nur in einem föderalen System möglich. Viele iranische Frauen wollen sich nicht von den Mullahs vorschreiben lassen, wie sie sich zu kleiden haben“, sagte Sido.
Iran als Vielvölkerstaat
Iran ist ein multiethnisches und multireligiöses Land. Neben der persischen Bevölkerungsmehrheit leben dort Aserbaidschaner:innen, Kurd:innen, Araber:innen, Belutsch:innen, Turkmen:innen, Armenier:innen und Assyrer:innen sowie Religionsgemeinschaften wie Schiit:innen, Sunnit:innen, Baháʼí, Christ:innen, Zoroastrier:innen, Jüd:innen, Ahl-e Haqq und Sufi-Derwische. Im Unterschied zur Türkei tragen viele Siedlungsgebiete in Iran noch offiziell ihre ethnischen Bezeichnungen.