Demirtaş: Wir werden in Freiheit und Gleichheit zusammenleben

Reformen, ein Ende politischer Justiz und gemeinsame Verantwortung angesichts der Krisen in der Türkei und in Nahost – der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş meldet sich aus der Haft heraus mit einem Appell: „Nicht Pathos, sondern Mut ist gefragt“.

„Nicht Pathos, sondern Mut ist gefragt“

Der seit 2016 in der Türkei inhaftierte kurdische Politiker und ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş, hat sich in einer schriftlichen Erklärung zu den aktuellen geopolitischen und innenpolitischen Entwicklungen geäußert. Die Stellungnahme, die unter dem Titel „Nicht Pathos, sondern Mut ist gefragt“ über den X-Account des 52-Jährigen veröffentlicht wurde, enthält zentrale Forderungen zu einem demokratischen Neuanfang, einem glaubwürdigen Friedensprozess und dem Aufbau gesamtgesellschaftlicher Resilienz.

„Kein Vorwand rechtfertigt äußere Interventionen“

Mit Blick auf den anhaltenden Konflikt zwischen Israel und Iran mahnte Demirtaş zur Rückkehr an den Verhandlungstisch. Zwar kritisierte er das autoritäre Vorgehen des iranischen Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung, stellte jedoch unmissverständlich klar: „Kein politischer oder ideologischer Vorwand kann eine militärische Intervention durch externe Akteure legitimieren. Der Weg zu Stabilität führt nicht über Bombardierungen, sondern über Dialog.“ Er forderte, eine diplomatische Lösung zu priorisieren, statt sich auf destruktive geopolitische Machtlogiken einzulassen, die den gesamten Nahen Osten weiter destabilisieren könnten.

Aufruf zu einem kontrollierten und mutigen Entwaffnungsprozess

Demirtaş bezog sich explizit auf den „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ von Abdullah Öcalan vom 27. Februar sowie auf die Entscheidung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sich aufzulösen und den bewaffneten Kampf einzustellen, und betonte die historische Chance eines friedlichen Übergangs: „Ein verantwortungsvoller Entwaffnungsprozess muss mit Sorgfalt, Entschlossenheit und Weitsicht geführt werden. Alle beteiligten Seiten sind gefordert, Provokationen zu vermeiden und in einem ausgewogenen und raschen Verfahren zur Deeskalation beizutragen.“

Rechtsstaatlichkeit statt politisch motivierter Justiz

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Erklärung lag auf der Justizpolitik in der Türkei. Demirtaş kritisierte die anhaltende Inhaftierung gewählter Bürgermeister:innen und anderen Mandatsträger:innen und forderte deren unverzügliche Freilassung sowie ein faires Verfahren: „Die systematische Politisierung der Justiz untergräbt nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung, sondern verhindert auch jede ernsthafte gesellschaftliche Befriedung. Strafverfolgung muss durch objektive, unabhängige und unpolitische Instanzen erfolgen.“ Der studierte Rechtsanwalt forderte die Regierung auf, konkrete Schritte zur Stärkung der inneren Rechtsstaatlichkeit zu unternehmen, und warnte vor weiteren gesellschaftlichen Polarisierungen im Schatten internationaler Krisen.

Warnung vor nationalen Abenteuern und geopolitischen Eskalationen

Demirtaş appellierte an politische Akteur:innen, sich nicht auf riskante und eigennützige Manöver einzulassen, die das Land in neue Instabilität führen könnten: „In dieser sensiblen Phase darf niemand abenteuerliche oder destruktive Strategien verfolgen. Es ist unsere Aufgabe, ein säkulares, gerechtes und gleichberechtigtes Staatsverständnis zu verteidigen, notfalls auch unter großen persönlichen Opfern.“

Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, dass alle politischen Kräfte ihre Verantwortung ernst nehmen und gemeinsam Lösungen erarbeiten: „Unsere innergesellschaftlichen Herausforderungen können nur durch Vertrauen, gegenseitigen Respekt und einen Geist der Geschwisterlichkeit gelöst werden – jeder andere Weg führt ins Desaster.“

Vorschlag für parteiübergreifenden Krisengipfel

Demirtaş schlug vor, in Anbetracht der außen- wie innenpolitischen Krisenlage eine parteiübergreifende Krisenkonferenz einzuberufen. Diese solle vom Staatspräsidenten initiiert und im Parlament mit allen Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien abgehalten werden, um eine gemeinsame außen- und innenpolitische Strategie zu entwickeln: „Notwendig ist ein abgestimmter politischer Kurs, der von allen demokratischen Kräften mitgetragen werden kann – kurz-, mittel- und langfristig.“

„Diese Stürme werden vorüberziehen“

Abschließend formulierte Demirtaş seine Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben aller in der Türkei lebenden Menschen und wandte sich dabei bewusst an die gesamte Gesellschaft: „Diese Stürme werden vorübergehen. Und wir, die alten und neuen Völker dieser Region, werden auf diesen Böden gemeinsam, frei und gleichberechtigt leben. Die Türkei, die wir verteidigen, ist eine gerechte, friedliche und solidarische Republik – für alle.“