Proteste gegen „Stimmenraub“
Während in der Provinz Wan dem unterlegenen Kandidaten der türkischen Regierungspartei AKP der Bürgermeisterposten zugesprochen wurde, hat die AKP in Şirnex (tr. Şırnak) einen „Wahlsieg“ durch massiven Betrug während sowie im Vorfeld der Wahlen errungen. Insbesondere der Einsatz von Tausenden Soldaten und Polizisten als mobile Wähler spielte dabei eine wichtige Rolle. In der Provinzhauptstadt Şirnex und in der Kreisstadt Qilaban (Uludere) finden heftige Proteste gegen den Betrug statt. Die Bevölkerung fordert vielerorts Neuwahlen.
103 Stimmen Vorsprung der AKP bei 1300 zur Stimmabgabe eingesetzten Soldaten
Die DEM-Abgeordnete Newroz Uysal Aslan aus der Provinz Şirnex hat sich gegenüber ANF zu der Situation geäußert. Sie berichtete, dass die Einsprüche gegen die Wahl in Qilaban bereits am Sonntagabend erfolgten: „Derzeit beträgt der Unterschied zwischen der AKP und der DEM-Partei 103 Stimmen nach unserer Zählung und 106 nach den offiziellen Daten. Etwa 1300 Soldaten haben hier gewählt. Es waren sogar 1800 registriert worden. Aber einige der Soldaten konnten nicht kommen. Es kamen also 1300 Stimmen von Personen von außerhalb. An den Eingängen fast aller Wahllokale standen vermummte Militärpolizisten mit Langwaffen, das widerspricht dem Wahlgesetz. Alle unsere Widersprüche wurden zurückgewiesen. Die Soldaten stimmten gesammelt ab, sie wurden gesammelt hergebracht und abtransportiert. Es gab den ganzen Tag über Rechtsverletzungen in den Wahllokalen. Die Zahl der ungültigen Stimmen ist sehr hoch, im Moment sind etwa 300 Stimmen ungültig. Wir haben einen Antrag auf Neuauszählung der Stimmen gestellt. Die Zahl der Umschläge und Stimmzettel, die in den Protokollen der Wahlurnen vermerkt wurden, stimmen nicht mit der Zahl der ungültigen Stimmzettel überein. Es gab eine mobile Wahlurne für Kranke. Uns liegen Verdachtsmomente und Unregelmäßigkeiten in Bezug auf diese Wahlurne vor. Wir haben die vollständige Annullierung dieser Wahlurne gefordert.“
„Der Stimmunterschied ist sehr gering“
Newroz Uysal Aslan erklärte, dass der Bezirkswahlvorstand trotz all der Widersprüche nicht sofort zusammentrat. Daher gebe es eine große Wut in der Bevölkerung: „Wir haben mehrere Einsprüche eingelegt. Dabei geht es um Punkte wie Falschstempelung, Fehlzählungen, fehlende oder überzählige Stimmzettel, die Frage der Umschläge und das Eingreifen der Sicherheitskräfte in einer Weise, die die Wahlsicherheit und die freie Willensäußerung des Volkes beeinträchtigte. Der Wahlausschuss hat unsere Einwände in der Wahlnacht nicht geprüft. Er sagte, er werde am nächsten Tag zusammenkommen und sie bewerten. Aber das hat nicht stattgefunden. Wir haben alle unsere Einsprüche schriftlich eingereicht. Die Menschen sind seit gestern Abend auf den Beinen und es gibt großen Protest und große Wut. Die Wut ist groß, sowohl wegen der 1300 Soldaten als auch wegen des Stimmabstands von 106 Stimmen. Dieses Votum, das am Abend der Wahl auf 26 gesunken war, stieg plötzlich wieder auf 106 an. Der Vorsitzende des Wahlausschusses sagte, er werde den Wahlausschuss einberufen und eine Entscheidung treffen, ob eine Neuauszählung vorgenommen wird. Aber bisher ist nichts in dieser Hinsicht geschehen. Weder partiell noch generell. Wir haben das Recht, bei einer Ablehnung unseres Antrags vor einen Ausschuss der Behörde und dann in Ankara Einspruch zu erheben. Nach der Wahl protestierten wir gemeinsam mit vielen Menschen. Während wir bei der Auszählung warteten, kamen immer mehr Menschen zusammen. Die Menschen wissen, dass sie gewonnen haben und ihr Wille geraubt wurde, also fordern sie, dass das aufhört.
„Wir sind davon überzeugt, dass wir Erfolg haben werden“
Leider können wir nicht behaupten, dass die Entscheidungen eines Ausschusses unparteiisch und unabhängig sein werden. Wäre er unparteiisch und unabhängig, hätte er Entscheidungen über unsere früheren Widersprüche in Bezug auf irreguläre Stimmabgabe treffen müssen. Wir glauben jedoch, dass wir ein Ergebnis erhalten werden, das dem Willen des Volkes entspricht. Denn die Differenz ist sehr gering und kann mit Einsprüchen ausgeglichen werden. Wir glauben, dass die Differenz ausgeglichen werden wird, wenn die Einsprüche akzeptiert werden. Die Menschen hier sind ebenfalls davon überzeugt, und deshalb sind wir hier.“
„Nicht das Problem einer Partei, sondern des ganzen Landes“
Aslan sieht in den Geschehnissen ein Problem für das ganze Land: „Wir sagen immer wieder, dass dies nicht nur ein Problem einer einzigen Partei ist. Es ist eine Frage des Rechts, der Wahlsicherheit und der Demokratie in der Türkei. Wir sagen seit Monaten, dass die AKP hartnäckig an einer irregulären Stimmabgabe durch ortsfremde Wähler gearbeitet hat, sie hat 2019 ähnliche Maßnahmen angewandt. Die Proteste der Menschen gegen diese falschen Wähler, insbesondere in Şirnex und anderen Orten, sowie ihre Wut zeigen das Bild eines Volkes, das gesiegt und eines Staates, der verloren hat.“
„Offiziere stimmten ab, nicht normale Soldaten“
Bei den für die Wahl hergebrachten Militärs handelte es sich nicht um normale Soldaten, Wehrpflichtige dürfen an Wahlen nicht teilnehmen. Aslan berichtete: „Auf jeden Fall waren die dort eingesetzten Personen keine normalen Soldaten, sondern Unteroffiziere oder Leutnants. Es handelte sich um Berufssoldaten, also bezahlte Militärs. Das Regime versucht nun die Situation zu manipulieren, indem man so tut, als würden die Soldaten von der Bevölkerung angegriffen. Das wird in den virtuellen Medien lanciert und hat sich auch in der Rede von Erdoğan niedergeschlagen.
„Eine Spezialkriegsoperation“
Wir wissen, dass die Regierung bestimmte Regionen in Kurdistan ins Visier nimmt, das ist sowohl Teil einer Kriegsstrategie, um einen gesellschaftlichen und moralischen Zusammenbruch herbeizuführen, als auch Teil der psychologischen Spezialkriegsführung. Die Orte, an die diese Wähler verlegt wurden, sind nicht nur Orte, bei denen die Zahlen nahe beieinander liegen. Es geht dabei auch darum, die moralische Überlegenheit und Einheit des kurdischen Volkes zu zerstören. Deshalb wurde Şirnex ins Visier genommen, ebenso wie die anderen Orte.“