Tanzende Studierende in Dersim als Sicherheitsrisiko festgenommen

An der Munzur-Universität in Dersim sind fünf tanzende Studierende als Sicherheitsrisiko festgenommen worden, die Hochschule wird von der Polizei belagert. Auslöser sind Proteste gegen Aktivitäten der TÜGVA und anderer islamistischer Organisationen.

In Dersim sind fünf Studierende der Munzur-Universität als „Sicherheitsrisiko“ festgenommen worden. Begründet wurde das Vorgehen mit Tänzen, die von der türkischen Polizei als „illegale Aktion“ umgewidmet worden sind. Die Gruppe wurde gewaltsam vom Campus entfernt und in das örtliche Polizeipräsidium gebracht. Sie erwartet eine Anzeige wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.

Derweil wird die Munzur-Universität seit Freitagfrüh von Sicherheitskräften belagert. Die Polizei ist mit mehreren Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen präsent, zahlreiche Beamte sind sichtbar im gesamten Campus-Bereich und an den Zugängen positioniert. Hintergrund der Mobilisierung sind Proteste der Studierendenschaft gegen Aktivitäten der islamistischen „Jugendstiftung der Türkei“ (TÜGVA) an der Hochschule und allgemein in Dersim.

Enthüllungen über TÜGVA

Der offizielle Auftrag von TÜGVA lautet nach eigenem Bekunden, „zu einer innovativen, fleißigen, moralisch guten, toleranten und erfolgreichen Jugend beizutragen“. Im Aufsichtsrat der Einrichtung, die hauptsächlich aus Spenden finanziert wird, sitzen neben dem Präsidentensohn Bilal Erdoğan auch einige Abgeordnete der Regierungspartei AKP. Mehrere Enthüllungen über die Stiftung machten zuletzt 2021 deutlich, dass sie vor allem dem Zweck dient, regimeloyale Kader zu produzieren und diese in der Bürokratie des türkischen Staates zu platzieren. Dies wurde unter anderem durch einen Leak von internen Unterlagen belegt. So wurden demnach bereits hunderte AKP-Loyalisten an Schaltstellen staatlicher Institutionen, unter anderem auch in Militär, Justiz und Polizei platziert. Auch wurden sogenannte „Zuteilungslisten“ geleakt, mit Hilfe derer TÜGVA-Mitglieder oder Mitglieder der anderen Regimestiftungen TÜRGEV und ENSAR bei Einstellungsverfahren vorgezogen wurden.

Dreh- und Angelpunkt der Indoktrination

Die Munzur-Universität gilt schon länger als Dreh- und Angelpunkt der Indoktrination im Sinne des Regimes. Die Bildungseinrichtung ist zum Zentrum von religiösen Orden und Gemeinden geworden, die sich mit dem Ziel der Assimilation von dort in der Stadt ausbreiten. Zur Indoktrination und religiösen Propagandaarbeit dienen diverse Organisationen, wie etwa die islamistischen Orden Menzil und Süleymanci, die berüchtigte Ensar-Stiftung und oder die Birlik Vakfı (Einheitsstiftung). Bei mehr als 90 Prozent der rund 600 internationalen Studierenden des Sommersemesters 2021 handelte es sich um Staatsangehörige von Ländern wie etwa Syrien, Somalia, Libyen, dem Jemen und Irak – Regionen, in denen die Türkei intensiv mit Bildungseinrichtungen zur Stärkung der Soft Power aktiv ist, wie etwa über die staatliche Maarif-Stiftung, sowie militärisch interveniert oder zumindest präsent ist, um ihren Führungsanspruch in der islamischen Welt durchzusetzen. Beherbergt werden diese Auslandsstudierenden in Unterkünften der AKP-nahen Stiftungen in Dersim.

Die Universitäten gehören uns, mit uns werden sie befreit“

Seit einiger Zeit schießen nun unter der Ägide des regionalen Muftiamtes vermeintliche Jugendeinrichtungen wie Pilze aus dem Boden. Dazu gehören etwa „Religiöses Jugendzentrum Hz. Ali“, „Jugendzentrum Hz. Fatima“, oder „Korankurs Ehl-i Beyt“. Zuletzt eröffneten die TÜGVA und die AKP lokale Büros in der alevitisch-kurdischen Provinz Dersim. Am Sonntag protestierten zahlreiche Studierende der Munzur-Universität und Ansässige aus der Region gegen die Aktivitäten islamistischer Organisationen in Dersim. „Wir wollen eine autonome, demokratische und freie Hochschule“, lautete das Motto der Demonstration, die über den Campus führte. Die Parolen, die immer wieder zu hören waren: „Die Universitäten gehören uns, mit uns werden sie befreit“ und „Weg mit den sogenannten Jugendzentren.“ Die Lage an der Hochschule ist angespannt, die Studierendenschaft hat weitere Proteste angekündigt. Die Blockade durch den Sicherheitsapparat des Regimes dürfte so schnell nicht beendet werden.