Türkischer Staat baut Todesschwadronen aus

Die als inoffizielle Privatarmee der AKP-Regierung geltende Söldnerfirma SADAT versucht die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen in Wan zu benutzen und diese zu rekrutieren. Finanziert werden die Aktivitäten über eine AKP-nahe Stiftung.

Die Firma SADAT, die sich in ihrer Eigendarstellung als Unternehmen versteht, das „Beratung im internationalen Verteidigungssektor und militärisches Training anbietet“, wurde 2012 vom pensionierten Brigadegeneral Adnan Tanrıverdi und etwa zwei Dutzend weiteren Ex-Topmilitärs gegründet. Auch wenn sich der Konzern hauptsächlich in den Bereichen militärischer Ausbildung, Verteidigungsberatung und Munitionsbeschaffung präsentiert, gilt SADAT in erster Linie als „islamistisches Blackwater“ und als Truppe zur schmutzigen Kriegsführung der Türkei. Berüchtigt ist sie unter anderem durch das Vorgehen ihrer Killerkommandos gegen die Zivilbevölkerung nordkurdischer Städte nach der Ausrufung der demokratischen Autonomie. Vor allem gilt SADAT aber als Nachfolger des informellen Geheimdienstes der türkischen Gendarmerie (JITEM), der in der Türkei dem „tiefen Staat“ zugerechnet wird und verantwortlich für tausende Morde an Kurdinnen und Kurden in den 90er Jahren ist.

Fünfte Kolonne des AKP/MHP-Regimes

Noch heute wird SADAT von Adnan Tanrıverdi geleitet, der 1996 wegen seiner Religiosität unehrenhaft aus der Armee entlassen worden war. Während des Machtkampfes zwischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und seinen ehemaligen Verbündeten von der Gülen-Fraktion wurde bekannt, dass SADAT schwere Waffen an zivile Erdoğan-Loyalisten verteilt habe. Der Verbleib dieser schweren Waffen ist bis heute ungeklärt. SADAT-Söldner waren auch aktiv beteiligt an den Angriffen und der Besetzung von Efrîn und anderen Teilen von Rojava und sind für ein Vielzahl von Kriegsverbrechen in der Region verantwortlich. Zuletzt kam SADAT nach dem Mord an der HDP-Mitarbeiterin Deniz Poyraz beim Anschlag auf die Parteizentrale in Izmir im Juni vergangenen Jahres in die Schlagzeilen. Offenbar soll der Attentäter Onur Gencer von SADAT ausgebildet worden sein.

Mit der Armutskrise weitet SADAT seine Aktivitäten im Inland aus

Mit der wachsenden Wut der Bevölkerung aufgrund der ökonomischen Krise und der Verarmung, in welche die Kriegspolitik der AKP die Türkei geführt hat, zeichnet sich ein möglicher Wahlverlust für das Regime bei den bevorstehenden Parlaments- und Kommunalwahlen ab. Parallel dazu begann SADAT, seine Aktivitäten in verschiedenen Teilen des Landes auszuweiten.

Mittlerweile sind die vom Regime eingesetzten Zwangsverwaltungen in kurdischen Städten eine der Haupteinnahmequellen von SADAT geworden. Die Gelder fließen über die „Türkische Jugendstiftung“ (TÜGVA) an SADAT. Die Treuhänder in den Rathäusern zahlen Gelder aus den Haushalten der Städte an TÜGVA und diese leitet die Gelder an SADAT weiter. Außerdem dient die Stiftung, die von Polizei und Militär durchdrungen ist, der Rekrutierung von jungen Männern für die Schattenarmee Erdoğans.

TÜGVA: Paralleler AKP-Staat

Der offizielle Auftrag von TÜGVA lautet nach eigenem Bekunden, „zu einer innovativen, fleißigen, moralisch guten, toleranten und erfolgreichen Jugend beizutragen“. So soll durch das Vermögen der Stiftung zur „Entwicklung der Jugend“ beigetragen werden. Im Aufsichtsrat sitzen neben dem Präsidentensohn Bilal Erdoğan auch einige Abgeordnete der Regierungspartei AKP. Mehrere Enthüllungen über die Stiftung machen deutlich, dass sie vor allem dem Zweck dient, regimeloyale Kader zu produzieren und diese in der Bürokratie des türkischen Staates zu platzieren. Dies wird unter anderem durch einen Leak von internen Unterlagen belegt. So wurden demnach bereits hunderte AKP-Loyalisten an Schaltstellen staatlicher Institutionen, unter anderem auch in Militär, Justiz und Polizei platziert. Auch wurden sogenannte „Zuteilungslisten“ geleakt, mit Hilfe derer TÜGVA-Mitglieder oder Mitglieder der anderen Regimestiftungen TÜRGEV und ENSAR bei Einstellungsverfahren vorgezogen wurden.

Korrupte Verbindungen zwischen Zwangsverwaltern und TÜGVA

Die HDP-Abgeordnete Meral Danış Beştaş hatte am 18. Oktober 2021 in einer Rede im Parlament TÜGVA als „Staat im Staate“ bezeichnet und explizit von der Verbindung zwischen den Zwangsverwaltern und der Stiftung berichtet. So habe zum Beispiel der Zwangsverwalter der Stadt Cizîr nach seiner Ernennung im Jahr 2016 den Busbahnhof in einer Ausschreibung an die Firma des Provinzvorsitzenden übertragen, die Jugend- und Kulturzentren der Stadtverwaltung der HDP-Hochburgen wurden ebenfalls samt den städtischen Parks an TÜGVA übergeben. Der Park „Für ein Leben ohne Hindernisse“ wurde vom Zwangsverwalter in Şirnex für 15 Jahre kostenlos an TÜGVA „vermietet“. In Silopiya wurde ein Teil des städtischen Kultur- und Kunstzentrums Laleş für eine Miete von 200 Lira monatlich (12,40 Euro, Stand 13.03.2022) an die AKP-Stiftung abgegeben. Studierende der Universität von Şirnex werden zur Mitgliedschaft in der TÜGVA genötigt. Ähnliche Meldungen sind auch aus anderen kurdischen Provinzen bekannt.

Bewaffnete Blockwarte aus TÜGVA-Rekrutierung

Die TÜGVA ist in 81 Provinzen organisiert. Besonders aktiv ist die Stiftung in Wan. Hier wird die Einstellung der sogenannten „Nachbarschaftswächter“ – bewaffnete Blockwarte für das Regime – unter Referenz der TÜGVA vorgenommen. Dazu passt auch die Meldung aus Wan, dass die Einrichtung Kontakt mit Jugendlichen in den ärmsten Vierteln aufnimmt und sie als bewaffnete Kräfte für SADAT zu rekrutieren versucht. Zwischen TÜGVA und dem Söldnerkonzern SADAT bestehen finanzielle und organisatorische Verbindungen.

Seit einiger Zeit sind in Wan zu nächtlicher Stunde bewaffnete Personengruppen zu beobachten. Es sind vorwiegend junge Männer, die Anzüge tragen und in Luxuswagen durch die Stadt fahren. Offenbar handelt es sich bei diesen paramilitärischen Gruppen um ein Ergebnis der Arbeit des SADAT-Konzerns. Dabei nutzt SADAT die prekäre ökonomische Situation der kurdischen Jugendlichen und anderer ethnischer Identitäten und versucht die perspektivlosen jungen Menschen unter Ausnutzung religiöser oder nationalistischer Haltungen zu rekrutieren. Im Besonderen werden solche Familien angegangen, die Angehörige bei Kämpfen verloren haben. Die Jugendlichen werden unter nationalistischen und rassistischen Parolen ausgebildet, indoktriniert und bewaffnet. Die Ausbildung findet auf einem militärischen Gelände in Wan statt.

Ein Ladenbesitzer, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht nennen möchte, berichtet: „Ein junger Mann, der bis vor wenigen Monaten in tiefster Armut gelebt hatte, kam diesen Monat mit einem Jeep und einer geschulterten Waffe in den Laden. Als ich ihn danach fragte, antwortete er: ‚Das sind tiefgehende Angelegenheiten, du verstehst das nicht.‘ Ich fragte, ob er einen Job bei der Regierung bekommen habe. Da sagte er: ‚Möge Gott unseren Staat verschonen, sie geben uns alles, was wir brauchen. Wenn es so weit ist, werden wir unsere Schuld gegenüber unserem Staat auf irgendeine Weise begleichen.‘ Mindestens vier oder fünf Jugendliche aus meinem Umfeld sind auch dabei. Im Viertel ist ihre Wichtigtuerei kaum zu ertragen.“

Provokationen geplant?

Die Arbeit von SADAT in Wan deutet auf eine bevorstehende massive Provokation hin. Insbesondere die für 2023 geplanten Parlamentswahlen werfen bereits jetzt ihren Schatten voraus. Schon bei vorherigen Wahlen hatte die AKP ähnliche Kräfte eingesetzt, um die Bevölkerung unter Druck zu setzen.