Dersim im Fokus der Assimilationspolitik

Dersim ist mit seiner widerständigen alevitisch-kurdischen Bevölkerung permanent im Fokus der Spezialkriegspolitik des türkischen Staats. Durch religiöse Orden, Vereine und Gemeinden sollen die Menschen in Dersim assimiliert werden.

Mit dem Namen Dersim werden in der Türkei und Nordkurdistan Aufstände, Widerstand und Genozid verbunden. In der vom türkischen Staat in „Tunceli“ umbenannten Provinzhauptstadt leben ungefähr 35.000 Menschen. Dersim gilt als eines der Zentren der alevitischen Weltanschauung. Die alevitisch-kurdische Bevölkerung hat sich niemals der türkischen Oberherrschaft gebeugt. Daher sind die historischen und kulturellen Besonderheiten und die Weltanschauung der Menschen in Dersim immer das Ziel einer Spezialkriegspolitik gewesen. Während einerseits ein brutaler Krieg geführt wird, wird andererseits über religiöse Orden, Schulen und Stiftungen die Kultur der Region attackiert.

Munzur-Universität: Fokus der Assimilation

Ein Mittel dazu ist auch die Munzur-Universität. Die Bildungseinrichtung ist zum Zentrum von Orden und Gemeinden des türkischen Regimes geworden. Mit dem Ziel der Assimilation breiten sie sich von dort in der Stadt aus. Als die Erdogan-Regierung noch mit der Gülen-Sekte zusammenarbeitete, lief die Assimilationspolitik vor allem über deren Bildungseinrichtungen. Auch die Professorenschaft an der Universität war von Gülen-Anhängern durchsetzt. Diese wurden mittlerweile durch Vertreter von Erdoğans AKP-Flügel ausgetauscht. Zur Indoktrination dient beispielsweise die Birlik Vakfı (Einheitsstiftung). Sie soll die Studierenden im Sinne des Regimes organisieren. Ahmet Zülfü Türkoğlu, ein Lehrbeauftragter, der wegen sexueller Übergriffe berüchtigt ist, wurde zum Leiter dieser Stiftung ernannt. Der Direktor der Munzur-Universität, Ubeyde Ipek, gibt die Funktion dieser Strukturen offen zu: „Wenn wir die Lücke in Tunceli nicht füllen, dann werden das andere Organisationen und Politikrichtungen tun.“

Religiöse Ordensmentalität und Vergewaltigungen

Das Forschungszentrum Dersim (Dersim Araştırmaları Merkezi, DAM) kritisiert diese Entwicklungen in der Stadt und berichtet von Vereinen der regierungsnahen islamistischen Orden Menzil und Süleymanci, der berüchtigten Ensar Stiftung und etlichen weiteren Organisationen, die religiöse Propagandaarbeit in Dersim betreiben. Die Orden eröffnen eigene Geschäfte und Handelsstrukturen und breiten sich in der Region immer weiter aus. Das Forschungszentrum sieht außerdem einen Zusammenhang mit den in Dersim gehäuft auftretenden Fällen von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen durch Angehörige der Polizei und Armee.

Ensar-Stiftung: Islamismus und sexuelle Übergriffe

Die Ensar-Stiftung ist eng mit der Erdogan-Familie verwoben. Besonders enge Verbindungen bestehen zu Erdoğans Tochter Esra Albayrak und seinem in Korruptionsskandale verwickelten Sohn Bilal Erdoğan, die an der Spitze der von Ensar gegründeten Turken-Stiftung stehen. Ensar betreibt Bildungsinstitute und Wohnheime und war 2016 in einen sexuellen Missbrauchsskandal in ihren Einrichtungen verwickelt; ein Lehrer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Obwohl sich weitere Skandale anschlossen, erhält die Ensar-Stiftung bis heute lukrative Regierungsaufträge und kommunale Geldzuwendungen in Millionenhöhe. Die damalige Familien- und Sozialministerin Sema Ramazanoğlu (AKP) versuchte, den Missbrauch von 45 Schülerinnen und Schülern bei der Ensar-Stiftung mit den Worten zu relativieren: „Dass es einmal zu einem solchen Vorfall kam, ist kein Grund, eine Einrichtung zu beschmutzen, die gute Dienste leistet.“