In den vergangenen zwei Jahren hat die südkurdische Partei PDK die Grenze nach Rojava in eine Festung umgewandelt. Unter der Regie der Türkei wurde ähnlich wie gegenüber den Medya-Verteidigungsgebieten auch gegen Rojava eine Belagerungssituation geschaffen. Auf den 33 Kilometern Grenze zwischen Rojava und Südkurdistan wurden 66 Militärstützpunkte der mit der Türkei kollaborierenden PDK geschaffen. Hinzu kommen Hunderte militärische Stellungen. Spezialeinheiten der PDK ziehen in der Region Panzerfahrzeuge zusammen und es werden Thermalkameras eingebaut. Die Basen werden aber nicht alleine von der PDK, sondern auch gleichzeitig vom türkischen Geheimdienst MIT und der türkischen Armee genutzt.
Vor dem Syrienkrieg erstreckte sich die Grenze zwischen Westkurdistan und den südkurdischen, von der PDK beherrschten Gebieten von Pêşxabûr (Sêmalka) im Dreiländereck Syrien, Türkei und Irak bis zum Dorf Şihêla. Das Gebiet von dort bis zum Grenzübergang Rabia (al-Yaroubiya/Til Koçer) wurde von der irakischen Armee kontrolliert. An der Grenze gab es bis 2012 nur acht Militärfestungen aus der Saddam-Zeit, welche von der PDK übernommen wurden. Mit Beginn der Revolution von Rojava im Jahr 2012 steigerte die PDK die Zahl der Grenzfestungen auf etwa 20. Doch damit nicht genug, zwischen April und Mai 2014 begann die PDK, Gräben zwischen Südkurdistan und dem Kanton Cizîrê in Rojava auszuheben.
Auch die irakische Seite der Grenze wurde von YPG und YPJ befreit
Mit dem Angriff des IS auf Mossul zog sich die irakische Armee aus dem Gebiet von Şihêla an der Grenze nach Dêrik bis zum Grenzübergang bei Rabia zurück. In dem Gebiet wurden Truppen der PDK und sehr wenige der YNK stationiert. Als der IS am 3. August 2014 mit seinem Angriff auf die ezidische Şengal-Region begann, zog die PDK ihre 12.000 Personen starke Truppe fluchtartig auch aus dieser Region ab und überließ die Ezid:innen dem Genozid. Das Gebiet zwischen Şengal, Til Koçer und Rabia wurde vom IS besetzt. Die YPG und YPJ begannen, um die Ezid:innen vor dem Genozid zu retten, im heftigen Kampf mit dem IS einen Korridor von Til Koçer nach Şengal zu schlagen. Am Nachmittag des 3. August 2014 hatten die Kämpfer:innen die etwa 15 Kilometer von Rabia entfernten Dörfer Tawis, Kail und Mahmudiyê vom IS befreit. In Rabia gingen die Kämpfe mit dem IS noch lange weiter. Rabia und die Grenze wurden unter Beteiligung von Peschmerga der YNK und PDK am 30. September 2014 vollständig befreit.
Rabia wurde befreit und den Peschmerga übergeben
Die YPG und YPJ trugen bei der Befreiung von Rabia die Hauptlast und kontrollierten daher einen großen Teil der Siedlung. Sie zogen sich jedoch über die Grenze nach Rojava zurück und übergaben die strategisch wichtige Siedlung den Perschmerga. Auf diese Weise geriet ein 86 Kilometer langer Grenzstreifen von Pêşxabûr bis zum Rabia-Übergang unter die Kontrolle der Peschmerga.
PDK zieht sich zum zweiten Mal zurück
Aufgrund der Verteilung der Gebiete zwischen YNK und PDK ging die Grenze erneut vollständig an die PDK über und die YNK zog ab. Im Rahmen des von der PDK initiierten Unabhängigkeitsreferendums wurde im Oktober 2017 die irakische Armee mobilisiert und marschierte in vielen umstrittenen Gebieten ein, unter anderem in Kerkûk. Die PDK verließ den Grenzstreifen zwischen Dêrik und Til Koçer und zog sich ins 15 Kilometer von Rabia entfernte Dorf Mahmudiyê zurück.
33 Kilometer Grenze unter PDK-Kontrolle
Von Mitte Oktober 2017 bis heute kontrolliert die PDK ein Gebiet im Pêşxabûr-Dreieck bei Dêrik bis zum Dorf Mahmudiyê bei Til Koçer. Die Grenzlinie zwischen Rojava (Region Qamişlo) und Şengal wurde zwischen 2017 und 2021 von Hashd al-Shaabi und danach von der irakischen Polizei kontrolliert. Diese Grenzlinie beginnt bei Derîk und erstreckt sich bis nach Rabia und von dort bis in die Nähe von Şengal.
Nach Gesprächen mit der Türkei
Nachdem sich die Beziehungen der PDK zur Türkei im Zusammenhang mit dem „Unabhängigkeitsreferendum“ verschlechtert hatten, versuchte die Barzanî-Partei die Diskrepanz durch Feindschaft gegenüber der PKK, der Revolution von Rojava und dem kurdischen Freiheitskampf auszugleichen. In Bezug auf die Grenzpolitik gegenüber Rojave verfolgten die Türkei und die PDK einen gemeinsamen Ansatz. Nachdem Nêçîrvan Barzanî nach Ankara bestellt worden war und dort Gespräche mit dem türkischen Regimechef Erdoğan und seinem Außenminister Çavuşoğlu geführt hatte, wurden entlang der Grenze zu Rojava Militärstützpunkte und Beobachtungsstellungen errichtet. In den Hügeln um Pêşxabûr bis hin zum Dorf Mahmudiyê wurden neue Militärfestungen und Kontrollpunkte eingerichtet. In diese Stützpunkte wurden Truppen und schwere Waffen gebracht. Die Basen wurden mit technologischem Gerät, unter anderem Thermalkameras, ausgestattet. Insbesondere die Basen von Xanikê und Şilikiyê wurden hochgerüstet.
Stationierung von MIT und PDK-Geheimdienst
Der MIT und der PDK-Geheimdienst „Parastin“ wurden vor allem in den Basen al-Qale und Şilikiyê am Tigris stationiert. Man begann damit, Reisende von Rojava nach Südkurdistan, insbesondere Angehörige von Mitgliedern der Selbstverteidigungskräfte, zu verhören. Auf dem Berg Bêxêr, der der Grenze nach Rojava zugewandt ist, wurde eine Startbahn für türkische Aufklärungsflugzeuge eingerichtet.
Nach Şengal-Abkommen kam es zu vollständigen Einkreisung
Am 9. Oktober 2020 wurde unter der Regie des türkischen Staates ein Abkommen zwischen der irakischen Regierung und der PDK geschlossen, mit dem die Auflösung der Selbstverwaltung von Şengal und die Aufteilung der Kontrolle über die Region beschlossen wurde. Das Abkommen wurde unter der Aufsicht der ehemaligen niederländischen Verteidigungsministerin und UN-Sonderberichterstatterin Jeanine Antoinette Hennis-Plasschaert unterzeichnet und fand die Unterstützung der Regierungen der USA, Englands und Deutschlands. Bereits im Dezember entsandte die PDK erneut Spezialeinheiten in das Grenzgebiet und vergrößerte die Außenposten. In den vergangenen zweieinhalb Monaten wurden beim Dorf Mahmudiyê drei neue Stützpunkte errichtet. Zusammen mit diesen Außenposten sind damit mindestens 66 Basen und Hunderte von Stellungen entlang der 33 Kilometer langen Grenze des PDK-Gebiets nach Westkurdistan errichtet worden. Damit ist die Grenze nach Rojava de facto vollständig abgeschottet.
Wirtschaftsembargo herrscht
Immer wieder schließt die PDK den Grenzübergang Sêmalka/Pêşxabûr und praktiziert ein Embargo gegenüber Rojava. Nachdem sich die Khadimi-Regierung im Irak der antikurdischen Politik der PDK und der Türkei anschloss, wurde auch der al-Walid-Grenzübergang bei Şengal immer wieder geschlossen. Menschen aus Rojava, die den Grenzübergang Sêmalka nach Südkurdistan passieren wollen, müssen Monate im Voraus einen Antrag stellen und eine Genehmigung des PDK-Geheimdienstes Parastin einholen.
Irak baut Mauer
Um den Druck zu erhöhen, hat das irakische Militär im März damit begonnen, eine Mauer entlang der Grenze zwischen Şengal und Rojava zu errichten. Der Bau wurde mit der Verlegung von Stacheldraht und der Einrichtung von Kameratürmen vorbereitet. Ziel ist die Errichtung einer 3,75 Meter hohen und 250 Kilometer langen Mauer, welche die Region Şengal isolieren und abhängig machen soll. Seit 2019 hatte die PDK bereits versucht, die Medya-Verteidigungsgebiete mit ihren Spezialeinheiten einzukreisen und immer wieder tödliche Hinterhalte gegen die Guerilla gelegt.
Dreifache Abschottung dient türkischem Expansionismus
Die dreifache Abschottung soll die Verbindung zwischen Şengal, Rojava und den Medya-Verteidigungsgebieten effektiv durchtrennen. Dafür hat das AKP/MHP-Regime die PDK und die irakische Regierung eingespannt.