Polizeiangriff auf Familie Şenyaşar

Angehörige der vor Gerichtsgebäude in Riha für Gerechtigkeit protestierenden Überlebenden der Familie Şenyaşar sind von der Polizei angegriffen worden.

Emine Şenyaşar und ihr Sohn Ferit Şenyaşar protestieren seit 358 Tagen vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes in Riha (tr. Urfa) für Gerechtigkeit. Angehörige und Personenschützer des AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız hatten am 14. Juni 2018 Emine Şenyaşars Ehemann und zwei ihrer Söhne ermordet. Statt den Tätern befindet sich einer ihrer Söhne in Haft.

Die Mahnwache der Familie Şenyaşar ist immer wieder Ziel von Repression, Kriminalisierung und Angriffen. Am Dienstag versuchte die Polizei erneut, die Mahnwache zu verhindern, und klassifizierte das Aufstellen von Plakaten als „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“. Auf Drohungen der Polizei erwiderte Emine Şenyaşar: „Mein Sohn ist im Gefängnis. Werft uns doch auch in den Kerker.“

Die Familie erklärte, dass sie am Montag vor dem Eingang des Bezirksgerichts Antep und des Strafgerichts protestiert habe und es keine Probleme gegeben habe. Daher werde die Familie auch in Riha die Aktion fortsetzen. Die Polizei antwortete in drohendem Ton: „Haut ihr ab oder nicht?“ Ferit Şenyaşar erklärte gegenüber den Drohungen der Polizei: „Wenn aus ihrer Familie drei Personen ermordet worden wären, würden sie dann einfach nur zu Hause sitzen?“

Als die Familie ihre Aktion fortsetzte, versuchte die Polizei alle, die sich im Hof des Gerichtsgebäudes aufhielten, ohne Angabe von Gründen aus dem Bereich zu entfernen. Emine Şenyaşar protestierte daraufhin mit kurdischen Klageliedern.

Ein anwesender Journalist der Nachrichtenagentur MA wurde daran gehindert, die Situation zu dokumentieren. Die Polizei erklärte, dass jegliche Aufnahmen verboten seien. Außerdem sei es nicht gestattet, sich auf dem Gelände des Gerichts ohne Genehmigung aufzuhalten. Die Polizei kontaktierte die Staatsanwaltschaft, um eine offizielle „Entscheidung“ zur Räumung des Bereichs zu erwirken. Die Familie Şenyaşar setzt jedoch ihren Protest weiter fort.

Das Massaker an der Familie Şenyaşar

Zehn Tage vor der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 suchte der AKP-Abgeordnete Ibrahim Halil Yıldız in Begleitung von Verwandten und Leibwächtern den Familienbetrieb der Familie Şenyaşar in Pirsûs (Suruç) auf. Nach einer verbalen Auseinandersetzung eröffneten die Bodyguards von Yıldız das Feuer. Mehmet, Celal und Adil Şenyaşar mit Schussverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, wo zwei von ihnen letztlich ermordet wurden. Die Gerichtsmedizin stellte bei der Autopsie von Celal Şenyaşar Einschüsse von Kugeln aus mindestens sechs Schusswaffen verschiedenen Kalibers fest. Bei Adil Şenyaşar wurden an 14 Stellen des Körpers Schnitt- und Stichverletzungen wie auch Schlagverletzungen mit harten Gegenständen festgestellt. Im Bericht heißt es, dass Adil „extremer Gewalt“ ausgesetzt gewesen sei. In seinem Körper wurden siebzehn Kugeln verschiedenen Kalibers gefunden. Von diesen Projektilen waren fünf tödlich. Nur zwei der Geschosse wurden nicht aus dem Nahabstand abgefeuert. Der Vater Hacı Esvet Şenyaşar, der zu Fuß in das Krankenhaus herbeigeeilt war, wurde dort durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf schwer verletzt. Er starb einen Tag später, während die Beerdigung seiner zwei Söhne von der Polizei mit Tränengas angegriffen wurde.

Besonders perfide an dem Vorgehen der türkischen Justiz: Während bislang nur einer der 23 wegen dem Dreifachmord an den Şenyaşars verurteilt wurde (18 Jahre), soll ein anderer Sohn von Emine Şenyaşar wegen der angeblichen Tötung eines Angreifers fast 38 Jahre lang im Gefängnis sitzen, obwohl er nachweislich nicht auf den Mann geschossen hat.