Geldstrafe gegen Şenyaşar-Witwe
Emine Şenyaşars Ehemann und zwei ihrer Söhne wurden 2018 von einem AKP-Mob gelyncht. Nun ist die Seniorin zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie den Hauptverantwortlichen der Morde beleidigt hätte.
Emine Şenyaşars Ehemann und zwei ihrer Söhne wurden 2018 von einem AKP-Mob gelyncht. Nun ist die Seniorin zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie den Hauptverantwortlichen der Morde beleidigt hätte.
Die Kurdin Emine Şenyaşar ist von einem Gericht in Ankara zu einer Geldstrafe in Höhe von 265 Tagessätzen verurteilt worden. Eine Strafkammer am Landgericht der türkischen Hauptstadt sah es am Montag als erwiesen an, dass die 71-Jährige mit der medial verbreiteten Äußerung „Er ist ein Dieb, auf dessen Konto möglicherweise noch weitere Morde gehen“ über den AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız den Straftatbestand der Beleidigung eines Amtsträgers erfüllt habe. Şenyaşar habe die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten, weil durch ihre Äußerung das Grundrecht eines anderen verletzt worden sei. Die Urteilserläuterung wurde vom Gericht jedoch aufgeschoben. Die Sonderregel des türkischen Rechts wirkt sich ähnlich wie die Bewährung aus. Die Staatsanwaltschaft hatte auf Grundlage von Artikel 125/3 des türkischen Strafgesetzbuches bis zu vier Jahre Gefängnis gefordert, da sich die angebliche Beleidigung gegen ein Parlamentsmitglied richtete und öffentlich begangen wurde.
Emine Şenyaşar ist die Witwe von Hacı Esvet Şenyaşar und Mutter der gemeinsamen Söhne Celal und Adil. Die drei Männer wurden wenige Tage vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 in der Kreisstadt Pirsûs (tr. Suruç) Opfer von Lynchmorden, die am Rande einer Wahlkampftour von Yıldız durch dessen bewaffnete Bodyguards und Verwandte ausgeführt wurden. Die türkischen Justizbehörden zeigen kein Interesse daran, die Morde restlos aufzuklären. Ibrahim Halil Yıldız sowie dessen Mafiabande genießen nach wie vor ein Leben in Freiheit, nur einer von 23 Angreifern wurde bisher verurteilt. Allerdings zu einer symbolischen Strafe von 18 Jahren, die er nur zu zwei Dritteln absitzen muss.
Demgegenüber ist ein anderer Sohn von Emine Şenyaşar, der das Massaker zudem überlebte, wegen Mord an einem der Angreifer zu knapp 38 Jahren Gefängnis verurteilt worden, obwohl der Mann nachweislich von seinen eigenen Leuten getötet wurde. Emine Şenyaşar sitzt derweil seit fast einem Jahr jeden Tag vor dem Justizpalast in Riha (Urfa). Dort führt sie eine „Mahnwache für Gerechtigkeit“ durch, um die Bestrafung der Mörder ihrer Familienmitglieder einzufordern. Heute will sie sich zum 343. Mal für ihr Anliegen einsetzen.
Weitere Beleidigungsklagen anhängig
Gegen Emine Şenyaşar sind mindestens zwei weitere Beleidigungsklagen anhängig, allerdings in Riha. In einem Fall ließ ebenfalls Ibrahim Halil Yıldız eine Wehklage der Seniorin über den Verlust ihres Mannes und der beiden Söhne in eine Beleidigung umwidmen. Im anderen Fall fühlt sich der türkische Innenminister Süleyman Soylu (AKP) in seiner Ehre verletzt, weil er meint, von Emine Şenyaşar in einem Interview als „würdelos“ bezeichnet worden zu sein. Einen Namen nannte die Kurdin in besagtem Interview nicht, sondern sprach lediglich von einer „verachtenswerten Person“, die um das Unrecht an ihrer Familie wisse. Der Innenminister, dessen Nachname auf Türkisch sinngemäß bedeutet, von vornehmer Abstammung zu sein, glaubt zu wissen, dass er gemeint gewesen sei. Denn soysuz, wie Şenyaşar die Person beschrieb, ist das Gegenteil von soylu. So wird der Minister von zahlreichen seiner Kritikerinnen und Kritiker genannt. Beide Fälle werden in einem Prozess verhandelt, der weiter anhängig ist.