Beleidigungsklagen gegen Emine Şenyaşar zusammengelegt

Die Beleidigungsklagen gegen Emine Şenyaşar sind zur gemeinsamen Verhandlung zusammengelegt worden. Der betagten Seniorin drohen mehrere Jahre Gefängnis, weil sich ein Innenminister und ein AKP-Abgeordneter in ihrer Ehre verletzt fühlen.

Die Beleidigungsklagen gegen Emine Şenyaşar werden zur gemeinsamen Verhandlung zusammengelegt. Das hat die 2. Strafkammer des Landgerichts Urfa (ku. Riha) am Freitag entschieden. Der Prozess gegen die 70-jährige Seniorin soll am 14. Januar 2022 beginnen.

Emine Şenyaşar ist die Witwe von Hacı Esvet Şenyaşar und Mutter der gemeinsamen Söhne Celal und Adil. Die drei Männer wurden wenige Tage vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 in der Kreisstadt Pirsûs (tr. Suruç) Opfer von Lynchmorden, die am Rande einer Wahlkampftour des AKP-Abgeordneten Ibrahim Halil Yıldız ausgeführt wurden – von dessen bewaffneten Bodyguards und Verwandten.

Die türkischen Justizbehörden zeigen kein Interesse daran, die Morde restlos aufzuklären. Ibrahim Halil Yıldız sowie dessen Mafiabande genießen nach wie vor ein Leben in Freiheit, nur einer von 23 Angreifern wurde bisher verurteilt. Allerdings zu einer symbolischen Strafe von 18 Jahren, die er nur zu zwei Dritteln absitzen muss. Demgegenüber ist ein anderer Sohn von Emine Şenyaşar, der das Massaker zudem überlebte, wegen Mord an einem der Angreifer zu knapp 38 Jahren Gefängnis verurteilt worden, obwohl der Mann nachweislich von seinen eigenen Leuten getötet wurde. Emine Şenyaşar sitzt derweil seit Anfang März jeden Tag vor dem Justizpalast in Riha. Dort führt sie eine „Mahnwache für Gerechtigkeit“ durch, um die Bestrafung der Mörder ihrer Familienmitglieder einzufordern.

Aufgrund dieses Anliegens sehen sich Ibrahim Halil Yıldız und dessen Parteikollege Süleyman Soylu, Innenminister der Türkei, von Emine Şenyaşar beleidigt. Ersterer ließ eine Wehklage der Seniorin über den Verlust ihres Mannes und der beiden Söhne in eine Beleidigung umwidmen. Soylu fühlt sich in seiner Ehre verletzt, weil er meint, von Emine Şenyaşar in einem Interview als „würdelos“ bezeichnet worden zu sein. Einen Namen nannte die Kurdin in besagtem Interview nicht, sondern sprach lediglich von einer „verachtenswerten Person“, die um das Unrecht an ihrer Familie wisse. Der Innenminister, dessen Nachname auf Türkisch sinngemäß bedeutet, von vornehmer Abstammung zu sein, glaubt zu wissen, dass er gemeint gewesen sei. Denn soysuz, wie Şenyaşar die Person beschrieb, ist das Gegenteil von soylu. So wird der Minister von zahlreichen seiner Kritikerinnen und Kritiker genannt.

Şenyaşar drohen bis zu vier Jahre Haft

Grundlage der Anklagen gegen Emine Şenyaşar ist Artikel 125/3 des türkischen Strafgesetzbuches, nach dem die Würde, die Ehre oder das Ansehen eines Amtsträgers nicht durch Beleidigung angegriffen werden darf. Weil sich die angeblichen Beleidigungen gegen Parlamentsmitglieder richteten und öffentlich begangen worden seien, drohen Emine Şenyaşar bei einer Verurteilung bis zu vier Jahre Gefängnis.