Kammern protestieren gegen Angriff auf Anwaltschaft

Vor dem Justizpalast in Amed haben Vorsitzende verschiedener Rechtsanwaltskammern gegen die Festnahme von Jurist:innen im Zuge der „Anti-Terror-Operation“ vom Dienstag protestiert. Die Zahl der in Polizeihaft Genommenen ist derweil auf 134 gestiegen.

Vor dem Justizpalast in Amed (tr. Diyarbakır) haben die Vorsitzenden verschiedener Rechtsanwaltskammern gegen die Festnahme von Juristinnen und Juristen protestiert. Gegen mindestens 25 Anwältinnen und Anwälte liegen Festnahmeanordnungen der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakır im Zusammenhang mit einem „Terrorverfahren“ vor, das sich gegen die kurdische Opposition und Zivilgesellschaft richtet. Auf der Fahndungsliste befinden sich weit mehr als 200 Personen – ranghohe Funktionäre und Mitglieder der Parteien HDP und YSP, Presseleute, Kunstschaffende und Aktive der Graswurzel-Bewegungen in Kurdistan – von denen bisher 134 wegen angeblichen Kontakten zur PKK festgenommen worden sind.

Rechtswidrige Festnahmen

„Die Behörden sollen die willkürliche Verfolgung unserer Kolleginnen und Kollegen beenden. Sie sollten es ihnen ermöglichen, ihre beruflichen Aufgaben in Übereinstimmung mit den in internationalen Menschenrechtsstandards vorgesehenen Garantien effektiv wahrzunehmen“, fordert Nahit Eren, Präsident der Rechtsanwaltskammer Amed. Er sprach im Hinblick auf die Festnahmen der Jurist:innen von einem rechtswidrigen Angriff gegen die Anwaltschaft und monierte, dass polizeiliche Durchsuchungen von Kanzleien ohne die Anwesenheit von Kammervertretern durchgeführt worden seien. Diese Art der Intervention der Anwaltskammern sei aber ausdrücklich durch das türkische Anwaltsgesetz Nr. 1136 zugelassen.

Aktuell noch 15 Anwält:innen in Gewahrsam

Laut Eren befinden sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mindestens fünfzehn Anwält:innen seit Dienstag in Polizeihaft. „Ihre Festnahme hat in der Öffentlichkeit große Besorgnis ausgelöst. Viele Menschen fragen sich, ob man mit diesem Vorgehen faire und demokratische Wahlen verhindern und den Willen der Wählerschaft ignorieren möchte.“ Eren kritisierte zudem, dass die Razzien, die mit Schwerpunkt Amed in insgesamt 21 Provinzen des Landes stattgefunden haben, offiziell als „Anti-Terror-Operation“ bezeichnet werden. Die HDP, die bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in gut zwei Wochen unter dem Dach der YSP antritt, kritisiert die Festnahmewelle als „Putsch gegen den Wahlkampf“ und gezielten Schwächungsversuch durch die Regierung in Ankara. Alle Betroffenen seien in den aktuellen Wahlkampf involviert.

„Kurz vor der Wahl holt das Regime zum großen Schlag gegen die demokratische Opposition aus. Wir haben es hier mit parteipolitischer Vereinnahmung der Justiz zu tun. Das kurdische Volk wird sich dem Unrecht nicht beugen“, sagte der stellvertretende HDP-Vorsitzende Serhat Eren bei einer Presseerklärung vor dem Justizpalast in Amed. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass vier kurdische Medienschaffende verhaftet wurden:  Beritan Canözer, Mehmet Şah Oruç, Abdurrahman Gök und Remzi Akkaya.


TBB-Chef kritisiert Geheimhaltungsverfügung und 24-stündiges Anwaltsverbot

Auch der Vorsitzende der Vereinigung türkischer Rechtsanwaltskammern (TBB), Erinç Sağkan, befand sich unter den Protestierenden in Amed. „Wir sind hier, um die Rechte unserer Kolleg:innen zu verteidigen und sicherzustellen, dass das Verfahren fair abläuft“, sagte er. Weitere Worte fand Sağkan hinsichtlich der Geheimhaltungsklausel, der die Ermittlungsakte unterliegt – und somit auch für die Verteidigung der Festgenommenen nicht zugänglich ist, und die von der Staatsanwaltschaft gegen die Betroffenen angeordnete Kontaktsperre. „Dadurch sind wir nicht in der Lage, genaue Informationen über den Inhalt der Akte und die konkreten Vorwürfe weiterzugeben. Die Ermittlungen sind die wichtigste Phase eines Strafverfahrens. Die Einschränkung des Zugangs zu einem Anwalt unterbricht diesen Prozess“, sagte Sağkan.

„Haus- und Bürodurchsuchungen von juristischen Personen ohne die Anwesenheit von Vertretern der Anwaltskammer sind rechtswidrig“, führte der TBB-Vorsitzende weiter aus. Man erwarte, dass das Ermittlungsverfahren zumindest von nun an im Einklang mit den Gesetzen durchgeführt wird. „Es darf nicht vergessen werden, dass Verhaftungen die letzte Maßnahme sind, die angewandt werden sollte. Als TBB verfolgen wir das Verfahren gegen unsere Kollegen genau“, betonte Sağkan.