Im Prozess gegen 17 Minderjährige, die zur Zeit der Ausgangsperre nach der Evakuierung aus Nisêbîn am 26. Mai 2016 verhaftet wurden, hat die siebte Hauptverhandlung vor der vierten Strafkammer in Mêrdîn (Mardin) stattgefunden.
Gegen alle Angeklagten wird 76 Mal lebenslängliche Freiheitsstrafe gefordert. Die Minderjährigen befinden sich seit fast drei Jahren in Untersuchungshaft. Ihre Verteidiger forderten erneut, die Foltervideos ihrer Festnahme in den Prozess einzubringen. Das Gericht lehnte ab und vertagte die Verhandlung auf den 5. April.
Selbstverwaltung und Ausgangssperre
Als Reaktion auf die systematische Unterdrückung und Repressionspolitik der Erdoğan-Regierung wurde 2015 in einer Reihe kurdischer Städte und Gemeinden die Selbstverwaltung proklamiert, die den demokratischen Gegenentwurf zu dem von der AKP vorgeschlagenen totalitären „Präsidialsystem“ darstellte. Nordkurdistan diskutierte damals schon länger die autonome Organisation im Stil von Kantonen, deren Verständnis die Antithese zur offiziellen Ideologie des türkischen Staates und seinem strikt zentralistischen und bürokratischen Verständnis bildet.
Ankara reagierte mit voller Härte gegen die selbstverwalteten Orte. Der über mehrere Monate andauernden Militärbelagerung in Städten wie Sûr, Şirnex, Cizîr und Nisêbîn fielen Hunderte Menschen zum Opfer, die genaue Zahl ist noch immer nicht bekannt. Nach Angaben der HDP kamen allein in Cizîr mindestens 280 Menschen ums Leben, viele von ihnen in den berüchtigten Todeskellern. In 262 Fällen konnte die Identität der Opfer festgestellt werden, weitere 18 Menschen sind noch immer auf dem Friedhof der Namenlosen begraben. Die Städte existieren teilweise nicht mehr und sind vom Staat regelrecht dem Erdboden gleichgemacht worden. So wurden beispielsweise in Nisêbîn sechs der fünfzehn Stadtteile im Zentrum der Stadt vollständig zerstört und rund 6.000 Gebäude abgerissen oder schwer beschädigt. Mindestens 30.000 Menschen verloren ihr Zuhause.