Gedenken an Tahir Elçi in Amed
Vier Jahre nach seiner Ermordung ist in Amed an den Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi erinnert worden.
Vier Jahre nach seiner Ermordung ist in Amed an den Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi erinnert worden.
Vor vier Jahren ist Tahir Elçi auf offener Straße in Amed (Diyarbakir) ermordet worden. Hunderte Anwältinnen und Anwälte haben heute am Tatort im historischen Altstadtviertel Sûr an den damaligen Vorsitzenden der Anwaltskammer von Amed erinnert. Sie versammelten sich vor dem Justizgebäude der Stadt und gingen geschlossen zum „Vierbeinigen Minarett“, einem historischen Bauwerk, an dem am 28. November 2015 die tödlichen Schüsse fielen. Dabei trugen sie ein Transparent mit der Aufschrift „Em te ji bîr nakin – Wir vergessen dich nicht“.
An der Gedenkveranstaltung, die von der Anwaltskammer und der Tahir-Elçi-Menschenrechtsstiftung organisiert wurde, nahmen die HDP-Abgeordneten Berdan Öztürk, Ebru Günay, Saliha Aydeniz und Meral Danış Beştaş, der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu sowie die Vorsitzenden der Anwaltskammern von Ankara, Bursa, Aydın, Antalya und 25 weiteren Städten in Kurdistan teil.
Cihan Aydın, der Anwaltskammervorsitzende aus Amed, erklärte in einer Ansprache im Gedenken an Tahir Elçi, dass sich die menschenrechtliche Lage im Land zunehmend verschlechtert. Morde unbekannter Täter würden in Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Justiz vertuscht, gleichzeitig werde versucht, den Krieg zu einem festen Bestandteil des öffentlichen Lebens zu machen. In diesem Zusammenhang wies Aydın auch auf die türkische Invasion in Nordsyrien hin.
Tahir Elçis Witwe Türkan Elçi verlas einen an ihren Mann verfassten Brief. Anschließend wurden Nelken am Minarett niedergelegt.
Wer war Tahir Elçi?
Tahir Elçi stammte aus Cizîr (Cizre) in Şirnex. Er gehörte zu den Gründern der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TİHV) und war sowohl beim Menschenrechtsverein IHD als auch innerhalb von Amnesty International (ai) aktiv. Nicht nur im Inland hat Tahir Elçi Verfahren für Opfer von Menschenrechtsverletzungen geführt, sondern viele von ihnen auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vertreten. Er selbst war von Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit an staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Wenige Wochen vor seiner Ermordung übte er Kritik an der Rolle der Regierung bei der Niederschlagung von friedlichen Protesten. Elçi sagte: „Die PKK ist keine terroristische Gruppierung. Auch wenn manche ihrer Aktionen vielleicht so genannt werden können, ist sie doch eine bewaffnete politische Bewegung mit erheblicher Unterstützung.“ Dies führte zu einer Welle von Lynchaufrufen und Todesdrohungen gegen ihn. Er wurde festgenommen und in der Folge wegen „Propaganda für eine terroristische Organisation“ angeklagt.
Zwei Tage nach Tahir Elçis Tod stellte die HDP im türkischen Parlament einen von der CHP unterstützten Antrag auf Einrichtung einer Untersuchungskommission zum Mord an dem Anwalt. Der Antrag wurde von der Regierungspartei AKP und der ultranationalistischen MHP abgelehnt und fand keine Mehrheit. Nach Bekanntwerden von Elçis Tod kam es in vielen Städten Nordkurdistans und der Türkei zu Demonstrationen. In Istanbul riefen die Teilnehmer*innen: „Ihr könnt uns nicht alle töten“, daraufhin wurde die Demonstration von der Polizei unter Anwendung von massiver Gewalt aufgelöst. Keine 48 Stunden später nahmen mehr als 150.000 Menschen an seiner Beerdigung teil.
Bis heute unaufgeklärter Mord
Der Mord an Tahir Elçi ist bis heute nicht geklärt. Die türkische Regierung machte die PKK für das Attentat verantwortlich. Die Recherchegruppe „Forensic Architecture“ von der Goldsmiths-Universität in London kam zu einem anderen Ergebnis. Durch eine 3-D-Rekonstruktion hat die Recherchegruppe zwei neue Verdächtige im Fall des ermordeten Anwalts ausfindig gemacht. Der tödliche Schuss sei demnach nicht von einem Angehörigen der Arbeiterpartei Kurdistans abgefeuert worden, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Polizisten.