Am 10. Mai 2012 führte das Europäische Parlament den 6. März als „Tag des Gedenkens an die Gerechten“ ein. Unter der Bezeichnung „Gerechte“ wird an diesem Tag des ermesslichen Mutes und Handelns all derer gedacht, die gegen jede Form von Totalitarismus und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Widerstand leisteten. Seine Festlegung war zu Ehren von Moshe Bejski, dem jüdisch-polnischen Richter beim Obersten Gericht Israels und Gründer des „Gartens der Gerechten unter den Völkern“ im Jahr 1960 in Jerusalem. Bejski wurde von Oskar Schindler vor der Ermordung im Vernichtungslager gerettet. Er verstarb am 6. März 2007.
„Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte“, heißt es im Talmud. Und: „Die Gerechten aus den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt“. Heute ist dieser Begriff ein in Israel eingeführter Ehrentitel für nichtjüdische Menschen, die ihr Leben eingesetzt haben, um Juden vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung zu retten. „Gerechte/r“ wird allerdings nicht nur im Kontext mit der Shoah verwendet, sondern allgemein für Gegner von Völkermorden und Diktaturen zugunsten der Verteidigung der Menschenrechte. In diesem Zusammenhang wird auch derer gedacht, die beispielsweise 1915 gegen die Auslöschung des armenischen Volkes im Osmanischen Reich gekämpft haben.
Zypressenbäume und Gedenksteine
Der „Garten der Gerechten“ in Perugia in der italienischen Region Umbrien wurde im März 2015 eingerichtet. Er befindet sich auf dem Gartengelände der Bibliothek der Kirche San Matteo degli Armeni, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts von armenischen Basilianermönchen gebaut wurde. Die Bibliothek ist auf Themen wie Frieden, Gewaltfreiheit, Menschenrechte sowie interkulturellen und interreligiösen Dialog spezialisiert. Eine der Abteilungen umfasst auch die Privatbibliothek des italienischen Philosophen und Antifaschisten Aldo Capitini.
Die Einweihung des „Gartens der Gerechten“ fand ein Jahr nach seiner Errichtung am 6. März 2016 statt. An dem Tag wurden sechs Zypressenbäume gepflanzt und ebenso viele Gedenksteine ausgelegt. Diese erinnern an den deutschen Schriftsteller Armin T. Wegner, der im Ersten Weltkrieg als Krankenpfleger diente und den Genozid an den Armeniern miterlebte; an Alexander Langer, eine wichtige Integrationsfigur der italienischen 68er-Bewegung und später Friedens- und Umweltaktivist; an die russische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Anna Stepanowna Politkowskaja, die sich verpflichtet hatte, Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien anzuprangern und in Moskau ermordet wurde; an Marisol Macías Castañeda, eine mexikanische Journalistin, die über Drogenkartelle berichtete und von der Drogenmafia getötet wurde; an Wangari Muta Maathai, Wissenschaftlerin, Umweltaktivistin und erste afrikanische Frau, die den Friedensnobelpreis erhielt; und an Tahir Elçi, kurdischer Menschenrechtsanwalt und Vorsitzender der Anwaltskammer von Amed, der vor drei Jahren von parastaatlichen Kräften vor laufenden Kameras ermordet wurde. In den letzten beiden Jahren kamen weitere Gedenksteine und Zypressen im „Garten der Gerechten“ dazu.
Staatliche Verfolgung seit Beginn seiner Tätigkeit
Tahir Elçi stammte aus Cizîr (Cizre) in Şirnex. Er gehörte zu den Gründern der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TİHV) und war sowohl beim Menschenrechtsverein IHD als auch innerhalb von Amnesty International (ai) aktiv. Nicht nur im Inland hat Tahir Elçi Verfahren für Opfer von Menschenrechtsverletzungen geführt, sondern viele von ihnen auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vertreten. Er selbst war von Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit an staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Wenige Wochen vor seiner Ermordung übte er Kritik an der Rolle der Regierung bei der Niederschlagung von friedlichen Protesten. Elçi sagte: „Die PKK ist keine terroristische Gruppierung. Auch wenn manche ihrer Aktionen vielleicht so genannt werden können, ist sie doch eine bewaffnete politische Bewegung mit erheblicher Unterstützung“. Dies führte zu einer Welle von Lynchaufrufen und Todesdrohungen gegen ihn. Er wurde festgenommen und in der Folge wegen „Propaganda für eine terroristische Organisation“ angeklagt.
Letzte Worte: Keine Gewalt in Wiege der Zivilisation
Unmittelbar vor seinem Tod am 28. November 2015 rief Tahir Elçi mit einer Gruppe von Anwält*innen auf einer Pressekonferenz in der historischen Altstadt von Amed dazu auf, sich gegen Krieg, bewaffnete Operationen und gegen die Zerstörung des historischen Erbes und Reichtums der Stadt einzusetzen. „Wir wollen in diesem Gebiet, das Heimat und Wiege so vieler Zivilisationen war, keine Gewalt, keinen Krieg, keine Zerstörung und keine bewaffneten Operationen“, sagte er. Wenige Minuten später starb er.
Zwei Tage nach Tahir Elçis Tod stellte die HDP im türkischen Parlament einen von der CHP unterstützten Antrag auf Einrichtung einer Untersuchungskommission zum Mord an dem Anwalt. Der Antrag wurde von der Regierungspartei AKP und der ultranationalistischen MHP abgelehnt und fand keine Mehrheit. Nach Bekanntwerden von Elçis Tod kam es in vielen Städten Nordkurdistans und der Türkei zu Demonstrationen. In Istanbul riefen die Teilnehmer*innen: „Ihr könnt uns nicht alle töten“, daraufhin wurde die Demonstration von der Polizei unter Anwendung von massiver Gewalt aufgelöst. Zwei Tage später nahmen mehr als 150.000 Menschen an seiner Beerdigung teil.