Zwei Jahre Haft für abgesetzten Bürgermeister von Colemêrg

Der abgesetzte Ko-Bürgermeister von Colemêrg, Cihan Karaman, ist wegen Terrorvorwürfen zu zwei Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt worden. Dem Bezirksbürgermeister von Bajarê Nû in Amed, Ibrahim Çiçek, drohen derweil bis zu 15 Jahre Haft.

Mit Cihan Karaman ist erneut ein abgesetzter Bürgermeister der Demokratischen Partei der Völker (HDP) zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Ein türkisches Gericht in Karamans Wahlkreis Colemêrg (tr. Hakkari) verurteilte den kurdischen Politiker am Dienstag wegen „terroristischen Aktivitäten“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat.

Die Anklage gegen Karaman beruhte im Wesentlichen auf den Aussagen eines anonym gehaltenen Zeugen. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, durch die Einrichtung des Modells der genderparitätischen Doppelspitze einen „Befehl der Organisation“ (gemeint ist die PKK) befolgt zu haben. Zudem wurde er der Teilnahme an einer „Terroristenbeerdigung“ beschuldigt. Dazu sagte Karaman vor Gericht: „Das stimmt. Es handelte sich um meinen Sohn.“

Karaman war bei den Kommunalwahlen im März 2019 mit knapp 60 Prozent der Stimmen zum Ko-Bürgermeister von Colemêrg gewählt worden. Und das, obwohl die AKP im Vorfeld in Colemêrg und anderen kurdischen Kommunen tausende ortsfremde Sicherheitskräfte in die Wahlregister eingetragen hatte. So machten die in den Wahllisten registrierten Soldaten und Polizisten vielerorts ungefähr dieselbe Anzahl aus wie die ortsansässigen Wahlberechtigten.

Am 17. Oktober 2019 folgte die Verhaftung und anschließende Amtsenthebung von Karaman. Nur einen Tag später zog bereits ein vom Innenministerium ernannter Zwangsverwalter anstelle des Politikers im Rathaus der HDP-Hochburg ein. Vor einer Woche wurde der Haftbefehl gegen Cihan Karaman aufgehoben, allerdings verhängte das Gericht Meldeauflagen. Gestern wurde er von einer jubelnden Menschenmenge in Colemêrg empfangen.

Cihan Karaman

Bis zu 15 Jahre Haft gegen Ibrahim Çiçek gefordert

An einem Gericht in der kurdischen Metropole Amed (Diyarbakir) ist diesen Dienstag gegen den Bezirksbürgermeister von Bajarê Nû (Yenişehir), Ibrahim Çiçek, verhandelt worden. Der im vergangenen August unter Terrorvorwürfen verhaftete HDP-Politiker wird der Mitgliedschaft in der PKK beschuldigt, weil er Delegierter des kriminalisierten Dachverbands der kurdischen Zivilgesellschaft (KCK) sein soll. Außerdem soll er sich an insgesamt 45 „illegalen Kundgebungen und Demonstrationen“ beteiligt haben. Dabei geht es unter anderem um eine Zusammenkunft der Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, die im Jahr 2015 stattfand. Die Anklage fordert deshalb zwischen siebeneinhalb und 15 Jahren Haft gegen Çiçek.

An der heutigen Verhandlung nahm der Politiker nicht persönlich teil, sondern wurde über ein Videoschaltungssystem aus dem D-Typ-Gefängnis in Amed eingebunden. Im Saal wurde Çiçek durch die Rechtsanwälte Ibrahim Afşar, Mehmet Öner und Mesut Bestaş vertreten. Diese verwiesen auf die fehlende juristische Grundlage des Verfahrens und forderten Freispruch. Das Gericht ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft an und vertagte die Verhandlung auf den 11. Februar.

Ibrahim Çiçek

Ibrahim Çiçek arbeitete bis zum Sommer 2016 noch als Lehrer. Nach dem Putschversuch wurde er per Notstandsdekret aus dem Staatsdienst entlassen. Bei den Kommunalwahlen im März 2019 trat er gemeinsam mit Belgin Diken an und gewann mit über 62 Prozent der Stimmen. Doch als ehemals verbeamtete Person wurde ihm die Anerkennung durch den Wahlausschuss verweigert. Diken wurde im November 2019 des Amtes enthoben und durch einen Zwangsverwalter ersetzt. Gegen die HDP-Politikerin laufen zwei Ermittlungsverfahren wegen vermeintlicher „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“. Von März bis Oktober 2020 musste sie in Hausarrest verbleiben und eine elektronische Fußfessel tragen.

Zwangsverwalter in 48 Rathäusern ernannt

Von den 65 Kommunalverwaltungen, in denen die HDP im März 2019 gewonnen hatte, sind aktuell nur noch sechs übrig. In 48 Kommunen, vier von ihnen Großstädte, wurden Zwangsverwalter eingesetzt. Auch Dutzende Stadtratsmitglieder und Provinzratsmitglieder wurden abgesetzt. In sechs Kommunen hatten die gewählten Bürgermeister*innen ihr Amt gar nicht erst antreten können, weil der Wahlausschuss ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden die unterlegenen AKP-Kandidaten ins Amt gehievt, die immer wieder durch Raub und Korruption von sich reden machen. Gegen zwei Bürgermeister leitete die HDP selbst Amtsenthebungsverfahren ein.

16 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Haft

Von 37 verhafteten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sind 16 immer noch im Gefängnis. Bei diesen handelt es sich um: Adnan Selçuk Mızraklı (Amed), Melike Göksu (Erzîrom), Yıldız Çetin (Wan), Azim Yacan (Wan), Yakup Almaç (Wan), Yılmaz Şahan (Wan), Gülistan Öncü (Mêrdîn), Mülkiye Esmez (Mêrdîn), Nilüfer Elik Yılmaz (Mêrdîn), Adnan Topçu (Mûş), Yaşar Akkuş (Reşqelas), Hasan Safa (Reşqelas), Mehmet Demir (Êlih), Ayhan Bilgen (Qers) und Şevin Alaca (Qers).