Colemêrg: Eine Stadt im Besatzungszustand
Seit 2015 herrscht in der nordkurdischen HDP-Hochburg Colemêrg de facto Ausnahmezustand. Die Zahl der türkischen Soldaten und Polizisten übersteigt die der Bevölkerung,
Seit 2015 herrscht in der nordkurdischen HDP-Hochburg Colemêrg de facto Ausnahmezustand. Die Zahl der türkischen Soldaten und Polizisten übersteigt die der Bevölkerung,
Seit 2015 herrscht in der nordkurdischen HDP-Hochburg Colemêrg (türk. Hakkari) de facto Ausnahmezustand. Sowohl am Ein- und Ausgang der Stadt wie auch jedes Stadtteils befinden sich Kontrollposten von Polizei und Militär. Da jedes Auto kontrolliert wird, ist stundenlanges Warten, um in die Stadt einzufahren oder sie zu verlassen, die Regel. Alle Aktivitäten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) sind verboten. Insbesondere die Jugend wird massiv unter Druck gesetzt, unter anderem auch, weil der Staat systematisch Spitzel anzuwerben versucht.
Die Ko-Vorsitzende des HDP-Kreisverbands von Colemêrg, Sinem Seven, erläutert im ANF-Gespräch die Lage in der Hauptstadt der Grenzprovinz. Sie betrachtet das Vorgehen des Staates in Colemêrg im Kontext der Spezialkriegspolitik gegen die kurdische Freiheitsbewegung und führt aus: „Der Drogenkonsum unter der Jugend wird gefördert. So wie in Êlih (Batman), gibt es auch hier Angriffe von Soldaten auf Frauen und Mädchen. Die Verbote machen Colemêrg zur kriminalisierten Region. Wenn wir von hier nach Şemzînan (Şemdinli) reisen, das sind ca. 145 Kilometer, müssen wir 20 Kontrollpunkte passieren. Dabei geht es um nichts weiter als Einschüchterung.“
Mehr Soldaten als Bevölkerung
Die Zahl der Soldaten übersteige die der Bevölkerung, berichtet Seven und weist auf die Konsequenzen bei den Wahlen hin: „Die letzten Wahlen haben wir mit den Stimmen der Soldaten verloren. Hier fühlt sich jeder unter Druck, denn wir befinden uns praktisch in einem Armeelager. Wenn wir als Partei arbeiten und Läden oder Menschen zu Hause besuchen, finden direkt danach dort Razzien statt. Es werden Drohungen ausgestoßen wie: ‚Wir werden euren Kindern schlimme Dinge antun‘. Wohin man auch schaut, sieht man, dass alles hier umstellt ist.“
Drohungen, Übergriffe und sexualisierte Gewalt
Die Politikerin weist darauf hin, dass insbesondere junge Menschen an den Kontrollstellen von der Polizei bedrängt werden und dazu gezwungen werden sollen, als Spitzel zu arbeiten. Weiterhin komme es immer wieder zu sexualisierter Gewalt durch Behördenvertreter. Das Wissen über diese Verbrechen bleibe aber meist im Familienkreis, einerseits aus Angst vor dem Staat, andererseits aufgrund der konservativen Stammesstrukturen.
Es herrscht Angst
Seven führt aus: „Am Eingang zu jedem Stadtteil gibt es Kontrollpunkte. Wenn man auf einen Markt geht, dann trifft man auf schwer bewaffnete Personen. Auch bei der kleinsten Angelegenheit schrecken sie nicht davor zurück, ihre Waffen auf die Menschen zu richten. Die Menschen haben Angst, sowohl vor dem Staat als auch vor den Stämmen. Hier herrscht die Angst, ermordet oder ausgegrenzt zu werden.“
Alle werden eingeschüchtert
Jugendliche werden mitten am Tag auf der Straße von Sicherheitskräften verschleppt und bedroht, sagt Seven und fährt fort: „War das etwa vor fünf Jahren möglich? Eltern haben Angst um ihre Kinder und die Kinder haben Angst um ihre Familien. Wenn wir die Menschen zu Hause besuchen, dann berichten sie uns darüber. Wenn man dieses Vorgehen betrachtet, dann versteht man das Schweigen der Familien. Sie sagen uns aber auch immer, dass sie an unserer Seite stehen und Teil des Widerstands sind.“
HDP-Arbeit unter massiver Repression
Seven berichtet von der massiven Repression gegen die HDP. Während die Regierungspartei AKP Veranstaltungen und Märsche durchführe, dürfe die HDP nicht einmal Flugblätter verteilen. „Am 25. November (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen) wurden die Frauen daran gehindert, die Stadt zu betreten. Ihre Autos wurden gestoppt und es wurden Geldstrafen verteilt. Selbst der Eingang zu unserem Parteigebäude wird permanent von Kameras überwacht. 24 Stunden am Tag schauen sie, wer kommt und wer geht. Aber trotz alldem erfahren wir mit unserer Arbeit große Unterstützung in der Bevölkerung.“