Tausende demonstrieren in Amed gegen Zwangsverwaltung

„Zwangsverwalter raus aus Kurdistan“: In der Widerstandshochburg Amed demonstrierten tausende Menschen am Abend gegen die Zwangsverwaltung in Colemêrg. Die Polizei versuchte vergeblich, den Protestzug aufzuhalten.

Widerstand aus Tradition

In der kurdischen Stadt Amed (tr. Diyarbakır) demonstrierten am Sonntagabend tausende Menschen gegen die Einsetzung eines Zwangsverwalters im Rathaus von Colemêrg (Hakkari). Ein massives Aufgebot der türkischen Polizei versuchte den Protestzug mehrfach zu verhindern und nahm einen großen Teil der Demonstrierenden im Stadtzentrum vorübergehend in einen Kessel. Mit Barrieren und Gittern, die schlagartig aufgestellt wurden und Zugänge zu Nebenstraßen absperren sollten, wollten die Beamten den Marsch stoppen. Die Menschenmenge protestierte mit Trillern, Applaus und Parolen wie „Euch die Paläste, die Straßen gehören uns“ gegen die Störaktionen. Der Kessel der Polizei wurde lässig überwunden, am Rande sangen Beteiligte das kurdische Widerstandslied „Lê Amedê“ von Koma Berxwedan.

„Zwangsverwalter raus aus Kurdistan“

Zu der Demonstration durch den zentralen Stadtteil Bajarê Nû hatten die Parteien DEM und DBP aufgerufen. Unter dem Motto „Zwangsverwalter raus aus Kurdistan“ sollte auf die Absetzung des gewählten Bürgermeisters Mehmet Sıddık Akış und die Ernennung eines staatlichen Treuhänders in Colemêrg aufmerksam gemacht werden. „Wir stehen erneut vor einem Putsch. Ein Putsch gegen den Volkswillen. Wir sind mit einer Situation konfrontiert, die weder mit dem Gesetz noch mit der Demokratie vereinbar ist“, sagte die DBP-Vorsitzende Çiğdem Kılıçgün Uçar bei einer Kundgebung vor dem Rathaus von Amed. Dorthin war die Menge trotz einer aggressiv auftretenden Polizei laut und kämpferisch gezogen.


„Wofür steht Zwangsverwaltung in Kurdistan? Für Raub, Putsch, Plünderung und Korruption. Nach 2016 und 2019 wurde dieser Mechanismus auch nach der letzten Kommunalwahl wieder in Gang gesetzt. Doch wir sind entschlossen, ihn ein weiteres Mal abzuschalten. Wir lassen nicht zu, dass der Wählerwillen missachtet wird“, betonte Kılıçgün Uçar. „Die Rathäuser gehören uns“, ergänzte der männliche DBP-Vorsitzende Keskin Bayındır. Er sowie viele andere Personen trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Treuhänder verschwinde“.

An der Demonstration beteiligten sich auch alle Ortsverbände der DEM und DBP, Parlamentsabgeordnete beider Parteien, Aktive und Handelnde der Frauenbewegung TJA, der Friedensmütter, der Gefangenensolidarität und verschiedener NGOs (c) ANF


Erdoğans Ass im Ärmel: Die Terror-Karte

Noch am Wahlabend des 31. März hatte sich der türkische Regimechef Erdoğan dafür feiern lassen, bei einer Kommunalwahl auch einmal die Opposition gewinnen zu lassen. Die CHP war landesweit zur stärksten Partei geworden, die HDP-Nachfolgerin DEM färbte die kurdischen Provinzen in ihre Farbe Lila ein. Doch der demokratische Schein erwies sich als trügerisch. War in Wan ein erster Anlauf gescheitert, Erdoğans Putsch-Karte auszuspielen mittels einer später aufgrund massiven Widerstands wieder rückgängig gemachten Aberkennung der Wählbarkeit des Bürgermeisters Abdullah Zeydan, setzt er in Colemêrg wieder auf den Klassiker der vermeintlichen „Terroristen“ im Gewand legaler Politik. Sie seien die „wahren Schurken“ und hätten die Stadtverwaltungen im Sinne der PKK usurpiert – auch Mehmet Sıddık Akış habe sich dies zu Schulden kommen lassen, meint Erdoğan zu wissen. Der rechtmäßig gewählte Bürgermeister von Colemêrg war zwei Tage nach seiner Absetzung zu fast 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden – in einem Prozess, der sich wegen fehlender Beweise seit 2014 hinzog.

Die Ko-Bürgermeisterin von Amed, Serra Bucak (rechts im Bild). Auch die ESP-Vizevorsitzende Beycan Taşkıran (1.v.l.) war vor Ort (c) ANF


Regime will Abstimmungsergebnis revidieren

„Diese Regierung hat trotz eindeutigem Wahlergebnis nichts begriffen. Für den Machterhalt setzt sie ihre Politik wie gehabt fort und sucht seit dem 31. März nach Auswegen, das Abstimmungsergebnis zu ihren Gunsten zu revidieren“, erklärte Kılıçgün Uçar. Doch schon die nahe Zukunft werde zeigen, dass sich die Geschichte wiederholen wird. „Wer das kurdische Volk zu seinem Gegner erklärt, der wird früher oder später ganz groß verlieren“, so die Politikerin.