Nach jahrelanger Restaurierung wurde in der armenischen St.-Giragos-Kirche in Amed (tr. Diyarbakır) der erste Gottesdienst seit sieben Jahren gefeiert. In Anwesenheit hunderter Gläubiger aus dem In- und Ausland sprach der armenische Patriarch in der Türkei, Sahag Maschalian, in seiner Predigt von der Freude und Dankbarkeit, das im Altstadtbezirk Sûr befindliche Gotteshaus saniert und wiederhergestellt zu sehen. „Es ist ein bewegender Moment für unsere Gemeinde, gemeinsam an der Auferstehung dieser Kirche teilzuhaben.“
Surp Giragos wurde im 14. Jahrhundert errichtet und ist die größte armenische Kirche im Nahen Osten. Sie trägt einen hohen geistigen Wert für Armenierinnen und Armenier in aller Welt, da Dikranagerd – der armenische Name der Stadt, benannt nach König Tigran dem Großen, der im ersten Jahrhundert vor Christus hier herrschte – jahrtausendelang ein Zentrum des armenischen Lebens war. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Armenier:innen die Mehrheit in dieser Stadt – fast sechzig Prozent der Bevölkerung. Doch dann kam der Völkermord.
Fotos: Mezopotamya Ajansı (MA)
Nach dem Genozid missbrauchten im Ersten Weltkrieg deutsche Soldaten das Kirchengebäude als Kaserne. Das Kaiserreich war der engste Verbündete des Osmanischen Reiches, das 1915 etwa 1,5 Millionen Armenier:innen ermorden ließ. Dann wurde das Gotteshaus zum Warenlager. Später verfiel die Kirche zunehmend und war zuletzt nur noch eine Ruine, bis Ende 2010 der Wiederaufbau begann. Finanziert haben ihn vor allem Armenier:innen, die in der Türkei und zerstreut in der Welt in der Diaspora leben. Unterstützt wurden sie dabei von einer Initiative, die unter dem kurdischen Politiker Abdullah Demirbaş, dem damaligen Bürgermeister von Sûr, und Osman Baydemir, dem damaligen Oberbürgermeister von Amed, gegründet wurde. Ab 2012 erstrahlte die St.-Giragos-Kirche, mittlerweile von einer lokalen armenischen Stiftung unterhalten, in neuem Glanz. Doch schon drei Jahre später war es damit wieder vorbei. Das Gotteshaus lag wieder in Trümmern.
Am 2. Dezember 2015 verhängte der türkische Staat eine Ausgangssperre über Sûr. Weite Teile des Bezirks wurden im Zuge einer monatelangen Militärbelagerung von türkischen Sicherheitskräften zerstört oder stark beschädigt – auch die fünf christlichen Gotteshäuser: die St.-Giragos-Kirche, die syrische Marien-Kirche, die chaldäische St.-Sergius-Kirche, die armenisch-katholische Kirche und eine protestantische Kirche. Die nach der Ausrufung der Selbstverwaltung ausgebrochenen Kämpfe dauerten 103 Tage bis zum März 2016 an. Das Ausgangsverbot ist teilweise auch heute noch gültig.
Sûr war bis zur Zerstörung durch den türkischen Staat mit seinen historischen Bauwerken und seiner Sozialstruktur ein einmaliges Siedlungsgebiet. Die Mauer um die Altstadt von Amed gehört zu den längsten der Welt und befindet sich auf der Welterbeliste der UNESCO. Die engen Gassen, Wohnhäuser, Kirchen, Moscheen und Zisternen in Sûr waren lebende Geschichte. Nach der Zerstörung wurde fast die gesamte Fläche verstaatlicht, die ursprüngliche Bevölkerung wurde vertrieben. Der Erlass der türkischen Regierung, die im März 2016 die Beschlagnahme der Kirchen in Sûr durch die Militärbehörden veranlasst hatte, wurde erst zwei Jahre später aufgehoben. Die Annullierung der Enteignungsbeschlüsse musste sich die Stiftung der christlichen Glaubensgemeinschaften allerdings vor dem Staatsrat in Ankara erkämpfen. Betroffen von den Enteignungen waren auch tausende Familien.
Bevor der letzte Wiederaufbau der Sankt Giragos 2019 begann, bemühte sich die Kirchenstiftung um die Übernahme der Kosten. Die von Ankara unter der Bedingung, dass der Wiederaufbau unter staatlicher Federführung geschieht, übernommene Restaurierung dauerte zwei Jahre und kostete etwa 19 Millionen Türkische Lira (ca. 1,2 Millionen Euro). Gestern wurde die Kirche offiziell wiedereröffnet. In Sûr ist derweil nichts mehr wie früher. Die türkische Führung ließ ein neues Wohnviertel nach dem Vorbild der staatlichen Gefängnisarchitektur errichten.