In der Türkei werden seit Monaten reihenweise Konzerte und Festivals von den Behörden untersagt. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) sieht in dieser Verbotspraxis eine Unterdrückung der kreativen Szene im Land durch die islamistisch-nationalistische Regierungskoalition aus AKP und MHP. Der Parlamentsabgeordnete Ömer Öcalan, der zugleich Sprecher der Kommission für Sprache, Kunst und Kultur seiner Partei ist, spricht gar von einer „Verwüstung der Kunst- und Kulturlandschaft“ in der Türkei, die immer weitere Kreise ziehe.
„Das AKP/MHP-Regime will seine eigene Kulturhegemonie installieren. Darum greift es alle kulturellen Veranstaltungen an und verbietet sie“, sagt Öcalan. Diese Destruktion, die Ankara vor allem in der jüngeren Vergangenheit innerhalb der Kreativszene angerichtet habe, hätte beunruhigende Dimensionen angenommen. Der Grund liege auf der Hand, meint Öcalan: „Obwohl die politische Macht alle Möglichkeiten an sich gerissen hat, ist sie stets daran gescheitert, dem Land ihre kulturelle Hegemonie aufzuzwingen. Das ist der Grund, warum das Regime nicht davor zurückschreckt, jegliche alternativen Veranstaltungen zu verbieten.“ Dies sei der Weg, den die herrschende Ordnung gehe, um die kulturelle Vielfalt einschränken und ihre Mentalität durchzusetzen.
Ömer Öcalan, hier bei einer Rede im türkischen Parlament, ist Neffe des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan und Abgeordneter für die Provinz Riha. | Archivbild
Betroffen von den Unterdrückungsgesten in den Bereichen Kunst und Kultur sind nicht mehr nur kurdische Veranstaltungen, die schon seit Jahren unter Verboten und Einschränkungen leiden. Immer häufiger werden auch türkische Rockfestivals oder Veranstaltungen an Universitäten verboten. Zuletzt traf es das „Milyon Fest“ in der Küstenprovinz Muğla, das Anfang September im beliebten Ferienort Fethiye stattfinden sollte. Zuvor war schon das vom selben Veranstalter in Balıkesir organisierte Zeytinli-Rockfestival von den Behörden untersagt worden. „Wir sehen also, dass die jüngeren Verbote immer mehr jene Kunstschaffende betreffen, die zur gesellschaftlichen Opposition zählen“, betont Ömer Öcalan. Doch sei es auch eine Tatsache, dass erst durch das jahrelange Schweigen eben dieser gesellschaftlichen Opposition eine derartige Ausweitung der Verbote überhaupt möglich wurde, so der Politiker.
Während die Behörden für das Verbot von kurdischen Veranstaltungen seit Jahren auf die „Wahrung der inneren Sicherheit“ als Begründung verweisen, hat die politische Führung in Ankara ihre Unterdrückungspraxis innerhalb der Kulturlandschaft um neue Argumente erweitert. So werden „Gesundheitsschutz“ „Wahrung der öffentlichen Sicherheit“, „Umweltschutz“ und sogar „Volkswille“ inzwischen immer häufiger als Verbotsgründe herangezogen – für Konzerte und Festivals, aber auch nichtmuslimische Veranstaltungen wie etwa Marienmessen. Oftmals liegen den behördlich angeordneten Verboten Beschwerden von islamistischen und ultrakonservativen Gruppen, Parteien und sogar Sekten zugrunde. In der Regel wettern sie gegen Alkohol, Drogen und „unsittliche Kontakte“ zwischen Jungen und Mädchen der beschweren sich über kurze Röcke oder angeblich anstößige Texte.
„Diese auf einem sehr subjektiven Sicherheitsverständnis basierenden Verbote schränken die Grundrechte der Menschen in einem nicht mehr hinzunehmenden Maße ein“, kritisiert Öcalan. Denn die Untersagung oder Behinderung kultureller Veranstaltungen führte auch zu einer Polarisierung der Gesellschaft. „Die Regierung macht unliebsame Kunstschaffende zur Zielscheibe. An den Lynchkampagnen gegen die Andersdenkenden aus dem Kulturbereich beteiligt sich auch die vollkommen politisch instrumentalisierte Justiz. Wir als HDP akzeptieren diesen Umgang mit der Kultur der Opposition nicht, insbesondere mit Blick auf die antikurdische Verbotspraxis, und verurteilen dies auf das Schärfste. Wir rufen zu Protesten auf und appellieren an die gesamte Bevölkerung, die Kunst- und Kulturschaffenden und die gesellschaftliche Opposition, ihre Stimme gegen diese Haltung der AKP zu erheben.“