Die türkischen Behörden haben zu einem neuen Schlag gegen die kurdische Kulturszene ausgeholt. Eine für diese Woche in Cizîr geplante Aufführung des Theaterstücks „Mem û Zîn“ nach dem gleichnamigen Buch ist ohne Angabe von Gründen durch den Landrat der zwangsverwalteten Kreisstadt gecancelt worden. Mîrza Metîn, Schauspieler und Gründer des Theaterkollektivs „Şermola Performans”, welches das Stück aufführen wollte, ist empört. „So sieht die Haltung und Mentalität aller Kommunen unter dem Treuhänderregime der AKP gegenüber der kurdischen Kultur aus. Sie ertragen einfach kein Kurdisch“, kritisiert der 42-Jährige.
„Mem û Zîn“ ist das Hauptwerk des kurdischen Dichters Ehmedê Xanî. Das Buch gilt als kurdisches Nationalepos und basiert auf einer Legende, die zuvor von Generation zu Generation mündlich überliefert wurde. Für die kurdische Gesellschaft symbolisiert es die Trennung vom Volk und Land der Kurdinnen und Kurden, die keine Einheit werden können.
Mem, aus dem Alan-Clan und Zîn, aus dem Botan-Clan, sind zwei Liebende, die eines Tages zueinanderfinden. Sie möchten zusammen sein, aber Beko aus dem Bakran-Clan versucht dies zu verhindern. Schließlich wird Mem wegen einer Verschwörung durch Bakir ermordet. Als Zîn die Nachricht vom Tode Mems empfängt, bricht sie auf seinem Grab zusammen und stirbt. Sie wird neben Mem begraben. Die Nachricht vom Tode von Mem und Zîn verbreitet sich schnell unter den Leuten von Cizîra Botan. Das Volk ist wütend auf Bakir und tötet ihn. Er wird unter den Füßen von Mem und Zîn begraben. Ein Dornbusch, genährt von Bakirs Blut, wächst aus seinem Grab: die Wurzeln der Bosheit dringen tief in die Erde zwischen den Gräbern von Mem und Zin. So sind die zwei Liebenden sogar im Tod voneinander getrennt.
Kaum war die Saalmiete bezahlt, wurde die Aufführung gecancelt
Für das Drehbuch der Adaption des Werks von Ehmedê Xanî hat sich Regisseur Mîrza Metîn an der Erzählung des Bardensängers Dengbêj Reso orientiert. „Unser Stück ist ein Werk, das mit mythologischen Metaphern belegt ist und den Zuschauenden performatives Theater verspricht“, sagt der Künstler. Die Uraufführung fand im November statt, seitdem wurde das Stück dreizehn Mal gezeigt, darunter in Êlih (tr. Batman), Amed (Diyarbakır), Riha (Urfa) und Qoser (Kızıltepe). Kommenden Samstag sollte „Mem û Zîn“ im städtischen Kulturzentrum von Cizîr aufgeführt werden. Der Nutzvertrag für den Veranstaltungssaal war bereits abgeschlossen gewesen, seit Tagen wurde die Performance in der Öffentlichkeit und über Social Media beworben und auch alle Einladungen waren schon verschickt. Letzten Freitag sei dann die Mietgebühr für den Saal an die Kommune überwiesen worden. „Doch kaum war die Zahlung erfolgt, wurden wir am Sonntag über die Unterbindung der Aufführung in Kenntnis gesetzt“, heißt es in einer Stellungnahme von Şermola Performans.
An Corona kann es nicht liegen
Obwohl bereits ein Tag vergangen ist, seit das Landratsamt durchsickern ließ, dass die Aufführung von „Mem û Zîn“ in Cizîr nicht stattfinden wird, liegt noch immer keine offizielle Begründung für das behördliche Vorgehen vor. An pandemiebedingten Schutzmaßnahmen wird die Entscheidung wohl nicht liegen, da in der Türkei die allermeisten Corona-Maßnahmen aufgehoben worden sind. Auch im Kulturbereich gilt daher grundsätzlich Normalbetrieb für alle Aktivitäten. Mit der Verhinderung der Performance scheint sich zu bestätigen, dass der antikurdische Rassismus allgegenwärtig in dem Land ist und selbst kurdisches Theater das Fundament der türkischen Staatsideologie bedroht.