„Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen“

Das Berliner Verfassungsgericht hat unlängst entschieden, dass die Razzia bei Civaka Azad im Juni 2018 rechtswidrig gewesen ist. Ein wichtiges Urteil für die Arbeit kurdischer Einrichtungen, das aber auch politische Konsequenzen nach sich ziehen müsste.

Was lange währt, wird endlich gut – heißt es. Geht es um Repression und strafrechtliche Verfahren gegen Kurd:innen und ihre Institutionen, trifft das eher selten zu. Umso mehr überrascht dann das Urteil des Verfassungsgerichtshofs Berlin vom 28. Februar, das sich mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung der Räume des Kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit e.V. (Civaka Azad) auseinanderzusetzen hatte. Diese polizeiliche Maßnahme, die am 13. Juni 2018 stattfand, hat das Gericht als Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Wohnraums bewertet und für rechtswidrig erklärt. Das Verfahren wurde an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Darüber hat der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ für seinen aktuellen Infodienst mit Mako Qoçgirî, Mitarbeiter von Civaka Azad, gesprochen.

Civaka Azad hatte seinerzeit eine Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung eingelegt, über die nun nach so langer Verfahrensdauer entschieden wurde. Wie bewertest du die Begründung und Entscheidung der Richter:innen des Verfassungsgerichtshofs?

Nachdem das Amts- und das Landgericht in Berlin unsere Klagen abgewiesen hatten, hat nun der Verfassungsgerichtshof Berlin unserer Klage stattgegeben. Das ist natürlich wichtig und zwar nicht nur für uns, sondern für die Arbeit von kurdischen Einrichtungen in Deutschland insgesamt. Wir haben immer wieder betont, dass das PKK-Verbot in Deutschland dazu führt, die Grundrechte von kurdischen Aktivist:innen und Menschen hierzulande zu verletzen. Das Urteil besagt letztlich genau dies. Jetzt wird das Verfahren zunächst einmal wieder an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das heißt, der juristische Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Aber aus unserer Sicht muss das Urteil auch politische Konsequenzen nach sich ziehen. Denn wenn die Justiz das Vorgehen der Sicherheitsbehörden als Grundrechtsverletzung beurteilt, diese wiederum ihr Handeln mit dem PKK-Verbot rechtfertigen, ist aus unserer Sicht klar: das PKK-Verbot muss weg. Und diese Entscheidung muss von der Politik gefällt werden.

Kannst du unseren Leser:innen noch einmal schildern, aus welchem Anlass und auf welcher Grundlage die Razzia 2018 stattgefunden hat und welche Konsequenzen daraus für euch und eure Arbeit entstanden sind?

Es gab ein Ermittlungsverfahren gegen vier Vorstandsmitglieder des kurdischen Vereins NAV-DEM Berlin. Hintergrund dieses Verfahrens war eine angeblich geplante Feierlichkeit zum Jahrestag der Gründung der PKK. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurden am 13. Juni 2018 auf richterlichen Beschluss die Vereinsräumlichkeiten von NAV-DEM Berlin polizeilich durchsucht. Zu jenem Zeitpunkt befanden sich unsere Büroräumlichkeiten im Nachbarhaus von NAV-DEM Berlin. Das Büro hatte eine separate Eingangstür, eine eigene Hausnummer und einen eigenen Briefkasten. Obwohl der Durchsuchungsbefehl unsere Räumlichkeiten nicht umfasste, wurden sie dennoch von der Polizei durchsucht und unser technisches Material, darunter zwei Tower-PCs, beschlagnahmt.

Für uns wirkte das Ganze so, als ob die Sicherheitsbehörden quasi nebenbei auch unseren Arbeiten einen Schlag versetzen wollten. Wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit, treffen uns mit Journalist:innen und Politiker:innen, vermitteln Gespräche zwischen kurdischen Akteur:innen und politischen Amtsträger:innen in Deutschland und machen natürlich auch auf die Probleme aufmerksam, die kurdischstämmige Menschen in Deutschland erleben. Und klar, viele dieser Probleme resultieren aus dem PKK-Verbot. Wir glauben deshalb, dass diese unrechtmäßige Razzia auch eine Antwort auf unsere Arbeit darstellen sollte. Es war ein Einschüchterungsversuch, und zwar ein illegaler, wie das Gericht nun festgestellt hat.

Das Gericht hat in seinem Urteil die Durchsuchung als Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Wohnraums gewertet. Das ist sicherlich richtig. Aber Tatsache ist auch, dass diese Razzia einen Einschnitt in unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dargestellt hat. Auf unseren PCs befanden sich sensible Daten mit Kontaktdaten von Journalist:innen und Politiker:innen, mit denen wir im Austausch waren. Diese Daten haben sich die Sicherheitskräfte rechtswidrig angeeignet. Der eigentliche Skandal ist deshalb aus unserer Sicht noch viel größer. Es fanden massive Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit statt. Diese Grundrechtsverletzungen blieben leider vom Gericht unerwähnt.

Wir haben als Vorsichtsmaßnahme nach der Razzia unseren Mietvertrag in den damaligen Räumlichkeiten gekündigt. Außer dieser Maßnahme hat sich an unserer Arbeit allerdings nicht viel verändert. Im Gegenteil, nach der Razzia sind noch mehr Menschen auf uns zugekommen und haben ihre Bereitschaft gezeigt, mit uns gemeinsam zu arbeiten. Der Einschüchterungsversuch der Sicherheitsbehörden ist quasi in die andere Richtung gegangen.

Bilder der Zerstörung

Seit Bestehen kurdischer Zeitungen, TV-Sender, Nachrichtenagenturen, Verlage oder Öffentlichkeitsbüros stehen diese im Fokus deutscher Sicherheitsbehörden. Mithilfe von Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Verboten soll verhindert werden, dass Kurd:innen ihre Sicht auf politische Ereignisse, Entwicklungen und Einschätzungen in der Öffentlichkeit darstellen. In diesem Zusammenhang ist auch die verheerende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar im Zusammenhang mit den Verbotsbestätigungen gegen den Mezopotamien-Verlag und den Musikvertrieb MIR zu sehen. Diese negative und diskreditierende Einstellung zur politischen und kulturellen Arbeit kurdischer Institutionen hat auch Civaka Azad zu spüren bekommen. Wie versucht ihr, dem entgegenzuwirken und auch eine Änderung in der stereotyp kurd:innenfeindlichen deutschsprachigen Berichterstattung zu erreichen?

Das ist natürlich eine mühselige Arbeit. Es bedarf viel Überzeugungsarbeit und diese versuchen wir zu leisten. Wir sprechen viel mit Journalist:innen, versuchen sie mit kurdischen Akteur:innen in Verbindung zu bringen und ihnen auf diese Weise die Sicht der Kurd:innen näherzubringen. Ich glaube, das ist keine leichte Arbeit, aber sie trägt auch Früchte. Wir dürfen nicht in eine Rolle verfallen, in der wir davon ausgehen, dass die Medien und Journalist:innen uns eh nicht hören wollen. Klar, es gibt auch Medien, die keinerlei Interesse an der kurdischen Sicht auf die Dinge haben. Aber viele Journalist*innen, mit denen wir zu tun haben, zeigen sich offen für unsere In-formationen. Wenn wir also in eine Perspektive verfallen, in der wir sagen, „es ist ohnehin zwecklos, niemand will uns hören“, dann handeln wir fatalistisch.

Es gibt mittlerweile unzählige kurdische Jugendliche, die sich vielleicht im Gegensatz zu ihren Eltern oder Großeltern auf Deutsch gut artikulieren können und damit auch die Belange und Probleme der Kurd:innen in die Öffentlichkeit tragen können. Schon das Gespräch mit den Freund:innen oder der Nachbarschaft kann dazu führen, Vorurteile zu brechen. Und wenn wir in der Lage sind, gemeinsam mit diesen jungen Menschen selbstorganisiert eine breit aufgestellte Informationsarbeit auf die Beine zu stellen, können wir auch eine starke Gegenöffentlichkeit aufbauen. Ich glaube, das ist vielleicht auch der effektivste Weg, um das PKK-Verbot zweck- und nutzlos zu machen. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, sondern müssen gemeinsam und organisiert noch selbst-bewusster in die Öffentlichkeit gehen.

Das PKK-Betätigungsverbot von 1993, das in den vergangenen Jahrzehnten beständig um weitere Verbote von Organisationen und Symbolen erweitert worden ist, bildet bis heute die Grundlage für eine umfassende Kriminalisierung politischer Aktivitäten und Akteur:innen. Es hat seitdem zahlreiche – leider bislang erfolglose – Initiativen gegeben, um eine Aufhebung dieser Verbote zu erreichen. Die politisch Verantwortlichen – insbesondere das Bundesinnenministerium – sind es, die bereit sein müssten, mit Kurd:innen in einen Dialog zu treten. Nun gibt es eine neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Wie schätzt du die Chancen für einen Diskussionsprozess mit Vertreter:innen der Koalition in dieser Frage ein (unabhängig von den der-zeitigen tiefgreifenden internationalen Konflikten und Entwicklungen) und würde Civaka Azad hier eigene Initiativen ergreifen bzw. sich anderen anschließen?

Es ist schwer abzuschätzen, ob die Aufhebung des PKK-Verbots mit der neuen Bundesregierung möglich sein wird. Ich denke, ohne den Druck der Basis ist das kaum vorstellbar. Denn an den strategischen Beziehungen zur Türkei wird sich wohl auch unter der neuen Regierung nicht viel ändern. Aber wir haben die Möglichkeit, den Druck auf die Regierung hochzuhalten. Ich habe anfangs gesagt, das PKK-Verbot führt zu Grundrechtsverletzungen. Wenn es uns gelingt, diese Grundrechtsverletzungen sichtbarer zu machen, dann wächst der Druck auf die politischen Verantwortlichen. Praktisch jede Repressionsmaßnahme, die aus dem PKK-Verbot resultiert, ist ein Skandal. Zehntausende Menschen in Deutschland werden auf Grundlage dieses Verbots kriminalisiert, hunderttausende stigmatisiert. Und selbst in der Justiz häufen sich mittlerweile die Urteile, die unter Beweis stellen, dass das Vorgehen der Sicherheitsbehörden mit dem Recht in Deutschland nicht vereinbar ist. Wir haben also die Argumente in der Hand. Wir müssen sie gut einsetzen und selbstbewusst in die Öffentlichkeit treten, dann glaube ich, dass es für die Bundesregierung auf Dauer nicht einfach sein wird, an ihrem Repressionskurs festzuhalten. Selbst wenn dadurch das Verbot nicht gekippt werden sollte, wird es dadurch möglich sein, den Kriminalisierungskurs effektiv herauszufordern.

Das PKK-Verbot wird, solange es in Deutschland vorherrscht, stets ein politisches Thema sein, mit dem sich die hier lebenden Kurd:innen auseinandersetzen werden. Folglich wird auch der politische Kampf gegen das Verbot auf verschiedenen Ebenen fortgesetzt werden. Auch als Civaka Azad werden wir weiterhin nicht nur auf die Situation in Kurdistan aufmerksam machen, sondern auch die Probleme, mit denen die Kurdinnen hierzulande konfrontiert sind, versuchen auf die Tagesordnung zu setzen. Dazu gehören natürlich auch die Kriminalisierung der Kurd:innen und das PKK-Verbot.

Wir bedanken uns für das Gespräch.