Warum gibt es das Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad?

Nach der rechtswidrigen Durchsuchung der Räumlichkeiten von Civaka Azad am vergangenen Mittwoch in Berlin hat sich das Zentrum erneut zu Wort gemeldet und eine ausführliche Selbstdarstellung veröffentlicht.

In der vergangenen Woche sind in Berlin neben mehreren Privatwohnungen auch zwei kurdische Einrichtungen durchsucht worden: Der kurdische Verein NAV-DEM Berlin und Civaka Azad, ein kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit. Vermummte und bewaffnete Polizisten stürmten die nebeneinander liegenden Räumlichkeiten, richteten erheblichen Sachschaden an und beschlagnahmten unter anderem mehrere Computer. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass für Civaka Azad gar kein Durchsuchungsbeschluss vorlag und die Razzia somit rechtswidrig war.

Aus diesem Anlass hat Civaka Azad eine ausführliche Selbstdarstellung veröffentlicht, die wir im Folgenden dokumentieren:

Die Notwenigkeit einer kurdischen Gegenöffentlichkeit in Deutschland

Im Jahr 2011 nahmen wir als Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit (Civaka Azad) unsere Arbeiten auf. Eine Informations- und Öffentlichkeitsarbeit aus kurdischer Perspektive betrachteten wir als notwendig, da die kurdische Gesellschaft häufig nicht selber zur Wort kam, wenn über sie berichtet wurde. Unsere Arbeiten sind dementsprechend sehr facettenreich und vielseitig: Sie erstrecken sich von der Organisierung von Diskussionsveranstaltungen, der Teilnahme an Informationsveranstaltungen verschiedenster Gruppen und Vereine, Delegationen (Wahlbeobachtungen, Newroz-Feierlichkeiten etc.) nach Nordkurdistan oder Rojava/Nordsyrien, dem regelmäßigen Anfertigen von Dossiers und Hintergrundberichten auf unserer Homepage, dem Veranstalten von Fachkonferenzen sowie Pressekonferenzen bis zur Eröffnung von Gesprächskanälen zwischen kurdischen Vertreter*innen und deutschen Politiker*innen, Think-Tanks, der Presse oder Ministerien wie dem Auswärtigen Amt.

Notwendigkeit einer medialen Gegenöffentlichkeit

Die strategische 150-jährige „deutsch-türkische Waffenbrüderschaft“ war stets zum Nachteil der Kurd*innen geprägt. Das Freiheitsstreben der kurdischen Gesellschaft wurde in diesem Zusammenhang instrumentalisiert. In den letzten 30 Jahren haben die verschiedenen Bundesregierungen, trotz zeitlichen Meinungsverschiedenheiten mit den türkischen Regierungen ihre repressive Politik gegenüber den Kurd*innen systematisch fortgeführt. Heute wird anstatt der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft eher die Partnerschaft in der NATO als Argument vorgeschoben, obwohl sich die Türkei schon längst nicht mehr im rechtlichen Rahmen der NATO bewegt. Auch missachtet die Türkei die Beschlüsse der UN, wie zuletzt den Aufruf des UN-Sicherheitsrates für einen Waffenstillstand in Syrien Anfang dieses Jahres. Nicht, dass sich die türkische Regierung unter Erdoğan und der AKP/MHP an den Beschluss gehalten hat, sie haben es nicht ernstgenommen und sind in den nordsyrischen Kanton Afrin einmarschiert. Seitdem hat die Türkei die Region eines souveränen Staates besetzt. Die politische Haltung der Bundesregierung weist keine kritische Haltung gegen seinen gegenwärtigen Partner Erdoğan und der AKP/MHP-Koalition auf. Vielmehr setzt sie ihre Solidarität mit den Verfolgern der Kurd*innen fort.

Trotz der repressiven Politik der Bundesregierung gegenüber der kurdischen Gesellschaft in Deutschland hat auch die Sympathie der Öffentlichkeit hier für die Kurd*innen zugenommen. Vor allem die demokratische Lösung in Nordsyrien, aber auch der erfolgreiche Kampf der Kurd*innen gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak hat in den letzten Jahren das Bild im Ausland geprägt. Wie zuletzt beim türkischen Einmarsch in Afrin gingen neben Kurd*innen Millionen Menschen aus aller Welt auf die Straßen, um gegen die türkische Besatzungspolitik zu protestieren. In Deutschland haben sich bundesweit Solidaritätsinitiativen für Afrin organisiert.

Civaka Azad bringt nicht nur die repressive Politik der Bundesregierung, sondern auch die breite öffentliche Unterstützung und Solidarität mit den Kurd*innen zur Sprache. Denn die kurdische Frage ist nun nicht mehr nur ein Instrument der Verhandlungen zwischen Berlin und Ankara, sondern Millionen Menschen in Deutschland haben sich dieser Frage angenommen.

Civaka Azad hat sich bemüht, entgegen der negativen politischen Darstellung der Kurd*innen, durch die langjährige Informationsarbeit und die Analyse der unübersehbaren demokratischen Errungenschaften in den kurdischen Gebieten, innerhalb der Zivilgesellschaft Deutschlands immer mehr Resonanz zu schaffen. Leider ist es auch eine Realität, dass die Berichterstattung der Mainstreammedien auch die öffentliche Meinung beeinflusst. Diese haben häufig entweder kein Interesse daran, ein objektives Bild der Situation in Kurdistan in die deutsche Öffentlichkeit zu tragen und/oder sie berufen sich einseitig und unkritisch auf propagandistische Meldungen türkischer Medien.

Kurden in Deutschland als Ziel umfassender Repression

Die Schätzungen über die in der Bundesrepublik lebenden Kurdinnen und Kurden reichen von 800.000 bis zu einer Million. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit besteht darin, aktiv Informations- und Dokumentationsarbeit über die in Deutschland lebende kurdische Bevölkerung zu leisten. Zugleich setzen wir uns für die Belange der hier lebenden kurdischen Migrantinnen und Migranten ein. Die erneute Repressionswelle, die im vergangenen Frühjahr 2017 begann, hat einmal mehr die Notwendigkeit unterstrichen, diese Maßnahmen in die breite Öffentlichkeit zu tragen, um einen besseren Schutz vor Repressalien zu gewährleisten. So schreibt Dr. Peer Stolle, Berliner Rechtsanwalt und Bundesvorsitzender des RAV: „Die durch die Bundesregierung vorgenommene Erweiterung des PKK-Betätigungsverbotes erfolgte nicht nur ohne Begründung; die Rundschreiben sind mutmaßlich bewusst so offen formuliert, so dass einer willkürlichen und uneinheitlichen Umsetzung Tür und Tor geöffnet wurde. (…) Vielmehr ist dies als weitere Fortführung der immer im gegenseitigen Einverständnis und Absprache erfolgten Repression gegen die kurdische Bewegung in Deutschland und der Türkei anzusehen. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei tut sein Übriges.“

Die Aktualität unserer regelmäßig erhobenen Forderung nach der Aufhebung des Verbots hat sich tragischer Weise mit der Razzia in unseren Vereinsräumlichkeiten erneut gezeigt. Artikel, die Kurdinnen und Kurden unter Generalverdacht stellen, machen für uns einmal mehr die Dringlichkeit der Aufhebung des PKK-Verbots deutlich. Die Repressionen gegen Kurden auf Basis des PKK-Verbots sind in diesem Sinne als ein Demokratiedefizit in Deutschland zu betrachten. Eine regelrechte Hetzjagd auf kurdische Symbole in den sozialen Medien oder das Verbot von Öcalan-Porträts reihen sich in die Vielzahl absurder Repressionsmaßnahmen ein.

Politische Kritik an den Bundesregierungen

Seit unserer Vereinsgründung haben die Regierungswechsel in Deutschland leider keinerlei nennenswerte Veränderungen in der Außenpolitik gegenüber der autoritären Regierung in der Türkei und der kurdischen Demokratiebewegung mit sich gebracht. Wir haben im Zusammenhang des Angriffs auf den kurdischen Kanton Afrin vor allem auf die deutschen Rüstungsexporte aufmerksam gemacht. In diesem Zusammenhang verfassten wir gemeinsam mit den Jusos, den Falken und anderen Gruppen einen offenen Brief an den deutschen Außenminister Heiko Maas. Neben brisanten Themen wie Waffenexporten machten wir auch regelmäßig auf die türkische Unterstützung für den IS aufmerksam. So stellten wir in unserem letzten Dossier zu dem Thema zwei zentrale Fragen, die nichts an ihrer Aktualität eingebüßt haben: „Inwiefern wird Deutschland auch zukünftig in der Lage bleiben, eigene Interessen im Mittleren Osten über den Bündnispartner Türkei durchzusetzen? Wie weit ist Deutschland bereit, mit einem türkischen Regime zusammen zu arbeiten, das offen diktatorische Züge trägt und zunehmend nationales und internationales Recht missachtet?“

Civaka Azad macht mittels juristischer Gegenwehr weiter

Wir erachten es für wichtig, nochmals unsere Aktivitäten in Erinnerung zu rufen, um die eigentlichen politischen Gründe der Hausdurchsuchung in unserem Büro am Mittwoch, dem 13. Juli 2018, verständlicher zu machen. Unter Berücksichtigung unserer Arbeiten, die offen und transparent geleitet wurden, war die Hausdurchsuchung eindeutig politisch motiviert und rechtlich eindeutig illegal. Dieses rechtswidrige Vorgehen muss unserer Ansicht nach Konsequenzen haben. Wir haben deshalb juristische Schritte gegen die Durchsuchung unserer Räumlichkeiten, die Zerstörung von Einrichtungsgegenständen und die Beschlagnahmung zahlreicher Bürogegenstände eingelegt.