Türkischer Vernichtungsplan trifft die Zivilbevölkerung
Das 2014 vom türkischen Staat beschlossene Konzept zur Vernichtung der kurdischen Befreiungsbewegung wird zunehmend gegen die Zivilbevölkerung von West- und Südkurdistan umgesetzt.
Das 2014 vom türkischen Staat beschlossene Konzept zur Vernichtung der kurdischen Befreiungsbewegung wird zunehmend gegen die Zivilbevölkerung von West- und Südkurdistan umgesetzt.
Der türkische Staat kennt keine Grenzen bei den Massakern an Kurd:innen. Seine Armee ist im Krieg gegen die Guerilla angeschlagen und greift in letzter Zeit gezielt die Zivilbevölkerung in Rojava und Başûr (West- und Südkurdistan) an. Bei Luft- und Artillerieangriffen sind in den letzten Monaten Dutzende Zivilist:innen ums Leben gekommen und verletzt worden.
Die ununterbrochenen Angriffe haben das Ziel, den im September 2014 vom türkischen Staat beschlossenen Völkermordplan zu vollenden. Erstmalig umgesetzt wurde dieser Plan in den Orten in Nordkurdistan, in denen der Widerstand zunahm und Selbstbestimmung gefordert wurde. Bei den Angriffen 2015/2016 wurden die Luftwaffe und Panzer in kurdischen Städten eingesetzt. Hunderte Menschen wurden dabei getötet, darunter auch kleine Kinder. Der Leichnam von Taybet Inan, eine 57-jährige Mutter von elf Kindern, lag eine Woche lang auf der Straße und konnte nicht geborgen werden. Die Eltern der zehnjährigen Cemile Çağırga bewahrten ihren Leichnam in einer Kühltruhe auf. Muhammet Tahir war bei seinem Tod 35 Tage alt. In den Todeskellern von Cizîr wurden Hunderte Menschen bei lebendigem Leib verbrannt.
Der türkische Staat und seine Regierung haben alles dafür getan, damit die Kurd:innen keinen Status bekommen. In Nordkurdistan herrscht dauerhafte Repression, die in der Westtürkei lebenden Kurd:innen werden im Auftrag der AKP/MHP-Regierung von Faschisten und Paramilitärs angegriffen. Der Anschlag auf die HDP-Zentrale in Izmir, das Massaker an einer kurdischen Familie in Konya und die inszenierte Hetzjagd auf Kurd:innen während der Waldbrände in der Westtürkei waren Bestandteile des beschlossenen Vernichtungskonzepts.
Grenzüberschreitende Angriffe
Auch die Angriffe auf Nordostsyrien sind intensiviert worden. 2018 wurde Efrîn besetzt, 2019 Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain). Die selbstverwalteten Gebiete, die militärisch von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) kontrolliert werden, werden ständig von der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Söldnern angegriffen. Aus den besetzten Gebieten wird täglich von Entführungen, Vergewaltigungen, Morden, Plünderungen und Folter berichtet. Nach Angaben von Şîrîn Hesen vom Frauenverband Kongreya Star sind im August 196 Menschen in Efrîn verschleppt worden, darunter 15 Frauen.
Ein weiterer Landesteil, in dem parallel das Konzept der Besatzung und Annexion umgesetzt wird, ist Südkurdistan. Der türkische Staat hat in den von der PKK kontrollierten Medya-Verteidigungsgebieten 2017 in Xakurke und im Juni 2020 Militäroperationen gestartet. Xakurke ist teilweise besetzt, trotzdem finden seit vier Jahren weiterhin Gefechte statt. Der Kampf um Heftanîn dauerte den ganzen Sommer des Jahres 2020 an und ist als „Cenga Heftanînê“ in die Geschichte des Widerstands in Kurdistan eingegangen. Auch dort ist die Guerilla weiterhin präsent und führt immer wieder Angriffe auf die Besatzungstruppen durch.
2021: Operationen in Gare, Metîna, Zap und Avaşîn
Zu Beginn dieses Jahres ist am 10. Februar eine Operation in Gare eingeleitet worden, die nach drei Tagen wegen des Widerstands der Guerilla wieder eingestellt wurde. Die Bombardierung und Tötung von Kriegsgefangenen der PKK durch die türkische Armee und die gesamte Erfolglosigkeit der Operation wurden breit in den Medien in der Türkei und im Ausland thematisiert und Regierung und Armee taten sich schwer damit, die Situation zu erklären.
Mit der in der Nacht auf den 24. April 2021 gestarteten Invasion in den Medya-Verteidigungsgebieten haben die bis heute andauernden Angriffe eine neue Dimension angenommen. Die PKK hat eine neue Widerstandsphase ausgerufen, die HPG haben die Guerillaoffensiven „Cenga Xabûrê“ und „Bazên Zagrosê“ gestartet und sind in den Regionen Avaşîn, Zap, Metîna, Heftanîn und Xakurke zum Widerstand übergegangen.
Der türkische Staat macht bei seiner seit Monaten andauernden Invasion sowohl in Nordostsyrien als auch in Südkurdistan nach wie vor einen erfolglosen Eindruck, obwohl er über modernste Waffentechnologie verfügt und internationale und regionale Unterstützung genießt – einschließlich der in Südkurdistan dominierenden PDK.
Viermonatige Kriegsbilanz
Nach Angaben der HPG, die kontinuierlich über das Kriegsgeschehen berichten, sind innerhalb der ersten vier Monate der Invasion im Zeitraum zwischen dem 24. April und 23. August 579 Soldaten der türkischen Armee ums Leben gekommen, Hunderte weitere wurden verletzt. Dutzende Panzerfahrzeuge, Hubschrauber und Drohnen wurden zerstört oder beschädigt. Außerdem wurden Hunderte Militärstellungen der Armee zerstört und zahlreiche militärische Materialien von der Guerilla sichergestellt.
Die Guerilla hat in diesem Zeitraum 458 Aktionen durchgeführt. Auf Guerillastellungen und die Tunnelanlagen haben unzählige Luftangriffe stattgefunden. 132 Mal wurden von der türkischen Armee durch den Einsatz von Chemiewaffen Kriegsverbrechen begangen. Diese Angriffe dauern weiter an. Bei den Bombardierungen und Gefechten sind in diesen vier Monaten siebzig Guerillakämpfer:innen gefallen.
Eingeständnis der Niederlage
Die schweren Verluste der türkischen Armee und die damit einhergehende Niederlage geht nicht nur aus der Bilanz der HPG und den Informationen aus den umkämpften Gebieten hervor. Auch die Erklärungen türkischer Politiker weisen darauf hin. Innenminister Süleyman Soylu nennt jedes Jahr ein neues Datum, an dem die PKK endgültig besiegt sein soll. Gleichzeitig gibt er widersprüchliche Zahlen zu den Verlusten der Guerilla an. Die Erklärung von Verteidigungsminister Hulusi Akar, dass einzelne Hubschrauber bei der Invasion trotz der mit modernsten Mitteln ausgestatteten Luftwaffe, Drohnen, Panzern, Raketen und Granaten nicht landen können, fasst die Lage der Armee zusammen. Offensichtlich ist es der türkischen Armee auch nach über vier Monaten nicht gelungen, die Gebiete einzunehmen, die sie innerhalb weniger Tage erobern wollte. Trotz dauerhafter Bombardierung und Chemiewaffeneinsatz ist der Widerstand der Guerilla ungebrochen.
Um aus diese für ihn unerwartete Situation zu überwinden, bombardiert der türkische Staat Städte, Dörfer und Gelände in Nordostsyrien und Südkurdistan. Angriffsziel ist die Zivilbevölkerung, Wälder und landwirtschaftliche Nutzflächen werden niedergebrannt.
Anstieg der Angriffe auf die Zivilbevölkerung
Nach Angaben der Militärischen Beobachtungsstelle der QSD verüben islamistische Gruppierungen wie die Al-Nusra-Front und andere Bombenanschläge und Morde in den besetzten Gebieten in Nordostsyrien. Im Juni waren diese Gruppen für 13 Anschläge und bewaffnete Auseinandersetzungen in der Besatzungszone verantwortlich, die zu 21 Toten und Verletzten geführt haben. Bei Angriffen der Besatzungstruppen auf die von den QSD kontrollierten Gebiete sind im August elf Menschen aus der Zivilbevölkerung getötet worden, Dutzende wurden verletzt.
Die türkischen Angriffe auf zivile Siedlungsgebiete in Südkurdistan haben im Zeitraum zwischen dem Beginn der Invasion am 24. April bis zum 31. August 2021 14 Personen das Leben gekostet, 13 Personen erlitten Verletzungen.