Am Donnerstag fand der erfolgreiche Abschluss eines besonderen internationalen Kooperationsseminar zwischen dem Bereich der Sozialen Arbeit an der ostfriesischen Hochschule Emden/Leer und der Jineolojî-Fakultät der Rojava-Universität in der Selbstverwaltungsregion Nord- und Ostsyrien statt. In der Auswertung wurde die emotionale und fachliche Tiefe des internationalen Austauschs zum Thema „Feminizid: Gewalt gegen Frauen und Gegenstrategien“ als sehr lehrreich beschrieben.
Dies war das erste Seminar, das über ein ganzes Semester gemeinsam an beiden Universitäten durchgeführt wurde – online. Gemeinsam wurde zu Gewalt gegen Frauen gearbeitet und sich mit verschiedenen Gegenstrategien vertraut gemacht. Die Praktiken, die kennengelernt wurden, reichen von Beratungsarbeit unter anderem am Beispiel der Frauenbegegnungsstätte UTAMARA in Deutschland und der Frauenberatungsstelle SARA in Rojava, Bildungsarbeit, politischen Interventionen, internationale Abkommen wie die Istanbul-Konvention bis hin zu ästhetischen Ausdrucksformen und Erinnerungskultur zur Verarbeitung von Gewalterlebnissen.
Wichtiger Schritt und schöne positive Erfahrung
Das Seminar wurde in der gemeinsamen Auswertung aller Beteiligten als sehr wichtiger Schritt und als schöne, positive Erfahrung bewertet. Es wurde zusammen überlegt, wie ein Austausch insbesondere in direkter, persönlicher Form zwischen den Studierenden in Zukunft stattfinden kann, denn diesmal gab es keine gemeinsamen Arbeitsgruppen aus Studierenden beider Hochschulen. Das Interesse, mehr voneinander zu erfahren und sich persönlicher zu begegnen wurde insbesondere von den Studierenden an der Universität Rojava in Qamişlo sehr deutlich vorgebracht. Es wurden konkrete Vorschläge gesammelt, wie die technischen und sprachlichen Barrieren noch besser überwunden werden können.
Aus Deutschland haben die Studierenden zum Abschluss ausgedrückt, wie sehr sie die Berichte des Erlebten aus Rojava berührt haben und wie lehrreich der Austausch für sie war. Sie haben den Jineolojî-Studierenden mitgeteilt, wieviel Kraft ihnen das gegeben hat und Einzelne haben sie als Vorbilder beschrieben. Es wurde Erfolg und Energie für die Arbeit in Rojava gewünscht, wie auch „dass ihr in den kurdischen Gebieten Unabhängigkeit und Ruhe erfahren könnt.“
Öffentlichkeitswirksame Projekte zum 25. November
Die Studierenden hatten in Gruppen zum internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen am 25. November öffentlichkeitswirksame Projekte entwickelt: Instagram-Seiten zu Catcalling/Belästigungen in der Öffentlichkeit und zu digitaler Gewalt, ein Plakat gegen Feminizide in Deutschland, also (versuchter) Mord an Frauen, weil sie Frauen sind, ein Theaterstück, ein Videoclip, eine Wandgestaltung mit Namen getöteter Frauen und anderes mehr. Im letzten Abschnitt des Seminars wurde sich im Rahmen einer Forschung im persönlichen Umfeld mit geschlechtsspezifischen Erfahrungen von Frauen in Kriegen auseinandergesetzt. Für die deutschen Studierenden eine Spurensuche in ihrer Familiengeschichte und durch die Wand des (Ver-)Schweigens. Entstanden sind dabei emotional sehr berührende Gedichte, Zeichnungen, ein fiktiver Tagebucheintrag, ein Podcast und Kurzgeschichten.
Mut zum Reden und zur Schaffung einer Kultur der Erinnerung
Neben den konkreten Geschichten der Ur-/Großmütter und Tanten wurde dabei beinahe immer auch die Tabuisierung des Redens über sexualisierte Gewalterfahrungen und über das Erleben des Krieges von Frauen und von Kindern thematisiert. Für die Studierenden aus den verschiedenen Ländern war berührend, gegenseitig zu hören, wie sehr Gewalterfahrungen von Frauen in Kriegen (weiter) bedeutende Auswirkungen auf ihr Leben haben. Dies sind zum einen die nicht aufgearbeiteten, aber nachwirkenden traumatischen Erfahrungen, die beinahe alle Familien in Deutschland betreffen und auch heute noch den Mut zum Reden und zur Schaffung einer Kultur der Erinnerung erfordern. Und es sind in Rojava zum anderen ganz aktuelle und kaum verarbeitete Erfahrungen, die die Studierenden und Lehrkräfte direkt selber betreffen. Zum Beispiel beim Angriff auf den Kanton Efrîn (Afrin) und dessen Besetzung.
Die Studierenden aus Rojava berichteten, dass sich ihr Bild von Europa verändert hat. Sie wissen nun, dass auch in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau in der Regel durch ihren (Ex-)Partner ermordet wird und häusliche Gewalt wie auch verschiedene Formen psychischer und physischer Gewalt in der Öffentlichkeit verbreitet sind. Auch in Deutschland gibt es viel Schmerz und Schwierigkeiten.
Internationaler Kooperationsvertrag
Seit 2018 besteht ein internationaler Kooperationsvertrag zwischen den beiden Hochschulen in Deutschland und in Nord- und Ostsyrien, der auf einen Beschluss des Fachbereichsrats Soziale Arbeit und Gesundheit zurückgeht. Auch die Studierendenvertretung im AStA hat 2018 einen Briefwechsel mit den Studierendenvertreter*innen der Universität Rojava aufgenommen.