„Frauen haben nie geschwiegen“
Fatma Kılıçarslan vom Frauenrat des HDK berichtet von einer auch durch den Ausnahmezustand ungebrochenen Widerstandstradition der Frauen und kündigt breite Proteste an.
Fatma Kılıçarslan vom Frauenrat des HDK berichtet von einer auch durch den Ausnahmezustand ungebrochenen Widerstandstradition der Frauen und kündigt breite Proteste an.
Fatma Kılıçarslan vom Frauenrat des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) berichtet über eine deutliche Zunahme von patriarchaler Gewalt des Staates unter dem AKP/MHP-Regime. Es gehe dabei um Entführungen, Bedrohungen, Erpressung zur Spitzelanwerbung und sexualisierte Folter im Gewahrsam. Die Frauenbewegung werde jedoch keinen Schritt zurücktun und insbesondere am 25. November, dem Kampftag gegen Gewalt an Frauen, die Straßen und Plätze füllen.
„Du wirst dich splitternackt an einem Berghang wiederfinden“
Fatma Kılıçarslan wurde selbst zum Ziel eines Angriffs. Im September versuchten Polizisten, sie mit Gewalt in ein Auto zu zerren und zu entführen. Aufgrund der Intervention von Passant:innen mussten sie den Entführungsversuch abbrechen. Die Polizisten hatten ihr Ansinnen mit den an Kılıçarslan gerichteten Worten betont: „Du wirst dich splitternackt an einem Berghang wiederfinden.“
„Frauen wird nur eine Existenz in der Familie erlaubt“
Im ANF-Gespräch erklärt Kılıçarslan zur Situation von Frauen in der Türkei: „Im Juli wurde die Mitgliedschaft in der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt auf der Grundlage der Entscheidung eines Mannes [Erdoğan] beendet. Mitten in der Nacht erklärte er den Frauen per Dekret offiziell den Krieg. Während wir für die effektive Umsetzung die Konvention kämpften, wurde sie von ihm beendet. Er denkt, dass Frauen eine Gefahr für seine eigene Macht darstellen. Deshalb greift er Frauen ständig an. Seit dem Tag, an dem er an die Macht kam, hat er eine Politik umgesetzt, die Frauen zum Schweigen bringen soll, die Mutterschaft zum Ideal macht, Frauen nur eine Existenz in der Familie erlaubt und es ihnen verbietet, selbst gesellschaftliche Subjekte zu werden.“
„Blutige Botschaften der Regierung“
Kılıçarslan berichtet von einem Anstieg der Femizide nach dem Austritt aus der Istanbul-Konvention und führt aus: „Fast jeden Tag wachen wir mit einem Mord an einer Frau auf. Wir betrachten das nicht nur als Zahl, aber 22 Frauen wurden in diesem Monat ermordet. Eine Frau wurde in Istanbul mit einem Samuraischwert ermordet, und die Aussage des Mörders war: ‚Ich wollte jemanden töten, ich beschloss, eine Frau zu töten, weil die Frauen nicht in der Lage sind, sich zu verteidigen.‘ Er kann eine Frau, die er noch nie getroffen hat, einfach so töten, nur weil sie eine Frau ist. Das liegt natürlich an der Politik der Straflosigkeit. Im Fall des Unteroffiziers Musa Orhan, der in Êlih (tr. Batman) Ipek Er vergewaltigt und in den Selbstmord getrieben hat, wurde nicht einmal ein Haftbefehl ausgesprochen und das, obwohl Musa Orhan gesagt hat: ‚Ich habe es schon einmal getan, ich werde es wieder tun, mir passiert nichts.‘ Männer werden tatsächlich durch diese Politik der Straflosigkeit belohnt. Die Regierung selbst sendet diese Botschaft an die Frauen: ‚Ihr werdet eure Stimme nicht erheben, wir werden euch in Häuser sperren, diejenigen, die dennoch den Mund aufmachen, können getötet werden, ihre Mörder werden nicht bestraft, wir werden sie schützen.‘ Wir haben dies gesehen, als unsere Genossin Deniz Poyraz im Gebäude des HDP-Provinzverbands von Izmir ermordet wurde und der Mörder mit großem Polizeischutz aus dem Gebäude gebracht wurde. Wir haben das bei vielen Morden an Frauen gesehen.“
„Wir werden überall auf die Straße gehen“
Zum 25. November kündigt Kılıçarslan massive Proteste an und sagt: „Wir werden innerhalb der Frauenplattformen auf der Straße sein. Wir treten dafür ein, dass alle Frauen zusammen kämpfen. Wenn wir unseren Kampf gemeinsam stärken, dann wird unsere Stimme gewaltig sein. Als Frauenplattform von Ankara gehen wir unter der Parole ‚Gemeinsamer Kampf gegen Krieg, Armut und die Gewalt des Männerstaats‘ auf die Straße.
„Selbst im Ausnahmezustand haben wir nicht geschwiegen“
Die Aktivistin berichtet, dass Frauen selbst im Ausnahmezustand, als die ganze Gesellschaft eingeschüchtert war, nicht geschwiegen und weiter um ihr Recht gekämpft haben. Sie führt aus: „Sie haben immer ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit und Armut erhoben. Wir haben die Straßen nie aufgegeben, selbst unter größter Repression nicht. Wir kämpfen unter schwerer Repression. Jedes Mal, wenn wir auf die Straße gehen, sind wir Gewalt und Festnahmen ausgesetzt. In Ankara wird Frauen zudem mit Entführung gedroht und es kommt immer wieder zu sexualisierter Folter im Gewahrsam. Die Behörden versuchen, Frauen dazu zu zwingen, Spitzel zu werden. Diese Politik kann Frauen nicht dazu bringen, nachzugeben. Die Frauenbewegung kämpft und bringt große Opfer.“
„Rojava inspiriert uns“
Kılıçarslan beschreibt die Revolution von Rojava als eine andauernde Inspiration für Frauen und sagt: „Wir gehen heute auf die Straße und wir wissen nicht, ob wir wieder nach Hause kommen werden. Wir müssen uns immer umdrehen. Obwohl wir unser absolutes Grundrecht wahrnehmen, werden wir als illegal dargestellt. Aber wir wissen, wir sind im Recht. Und wir beziehen unsere Kraft aus unserer Legitimität, voneinander und aus der weltweiten Frauenbewegung.“
„Frauenwiderstand auch in den Gefängnissen“
Die Aktivistin erinnert an die Worte der inhaftierten kurdischen Politikerin Gültan Kışanak: „Unsere größte Karriere als Frauen wird sein, euer Sultanat niederzureißen“. Sie schließt mit den Worten: „Gerade Frauen, die sich dem patriarchalen Status quo widersetzen, die sich nicht unterwerfen, die ihre Identität und ihre Vorstellungen nicht kompromittieren, werden nun aus Rache als Geiseln im Gefängnis festgehalten. Die Informationen, die wir aus den Frauenzellentrakten bekommen, sind wirklich sehr schlimm. Es herrscht ein unglaubliches Klima der Unterdrückung, aber die Frauen, die dort politische Geiseln sind, leisten weiterhin Widerstand. Am 25. November werden wir auf den Plätzen und Straßen ihre Stimme sein und ihnen Gehör verschaffen.“