Frauenverein Star: „Alles, was wir tun, wird kriminalisiert“

Rojbîn Bor erklärt zum einjährigen Bestehen des Frauenvereins Star in Wan: „Wir sind in jedem Bereich massiv eingeschränkt. Wir können nicht einmal die Straßen benutzen. Wir werden illegalisiert und mit Terrorparagraphen kriminalisiert.“

Der Frauenverein Star in Wan hat einen Jahresbericht vorgelegt. In dem Bericht wird festgehalten, dass Gewalt gegen Frauen während der Pandemie in Wan um 27,8 Prozent gestiegen ist. Der Verein hat eine Umfrage durchgeführt und unterhält eine Telefonnummer und E-Mail-Adresse als Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen. Frauen, die sich bei dem Verein melden, werden für eine soziale, psychologische oder juristische Beratung weitergeleitet. Rojbîn Bor ist Mitglied des Vereinsvorstands und hat im ANF-Interview von der Arbeit des Vereins und der Situation von Frauen in Wan berichtet.

Warum wurde vor einem Jahr in Wan ein neuer Frauenverein gegründet?

Der Frauenverein Star ist wichtig. Es gab Zeiten in Wan, in denen wir als Frauenplattform gearbeitet haben. Nach der Schließung von Frauenhäusern, der Auflösung der Kommunalverwaltung, die sich mit Frauenpolitik beschäftigte, und der Behinderung von Frauen in der Politik, war es dringend notwendig, einen solchen Verein in Wan zu gründen. Außerdem gibt es auch noch die Bewegung Freier Frauen (TJA). In Wan gibt es ein gravierendes feudales Selbstverständnis. Es ist extrem hart für Frauen, die sich der Staatspolitik widersetzen. Die Bereiche, in denen Frauen Angriffe, Morde, Vergewaltigungen und Misshandlungen zur Sprache bringen konnten, waren sehr begrenzt, und es gab nicht die Möglichkeit, selbstbestimmt damit umzugehen. Aufgrund all dieser Probleme haben wir den Frauenverein Star gegründet.

Was waren die ersten Schritte nach der Gründung?

Unser Verein wurde am 6. Januar 2020 gegründet. Zunächst ging es darum, überhaupt sichtbar zu werden. Wir haben daran gearbeitet, uns als eine Anlaufstelle für Frauen zu präsentieren. Dafür haben wir uns mit allen Frauenstrukturen in Wan und mit Gewaltopfern getroffen. Wir haben das Gespräch mit Frauen gesucht, die aus dem öffentlichen Dienst entlassen oder suspendiert wurden. Auch mit Unternehmerinnen haben wir uns getroffen.

Nach Ihrer Gründung brach die Pandemie aus. Worauf haben Sie in dieser Phase besonders Wert gelegt? Gibt es Beziehungen zur Kampagne der TJA?

Die Gewalt gegen Frauen nahm mit Beginn der Pandemie um 27,8 Prozent zu. Es ist eine sehr bittere Zeit für uns. Wir konnten die Frauen nicht an den Orten treffen, an denen sie Hilfe benötigten. Aber dennoch geht unsere Arbeit weiter. Wir unterstützen jeden alternativen Weg und jede Struktur, die sich gegen das Patriarchat stellt. Die TJA ist eine davon. Die TJA ist eine Plattform, die im Frauenbereich arbeitet und dazu entschlossen ist, bei Männern eine Veränderung zu erreichen. Wir unterstützen ihre Arbeit und werden auch gemeinsame Projekte entwickeln. Unter anderem wollen wir Workshops zu gesellschaftlichem Sexismus durchführen. Diese richten sich an Frauen und Männer. Wir werden Filmtage organisieren und mit feministischen Filmen vom Frauenkampf erzählen. Außerdem wollen wir soziale, juristische und gesundheitsbezogene Bildungsprojekte durchführen.

Was sind die größten Hindernisse für Ihre Arbeit in Wan?

Unser größtes Hindernis ist der Staat. Wir können nicht einmal die Straßen benutzen. Wir können nicht nach draußen gehen. Als Verein feiern wir unser einjähriges Bestehen. Wir wollen unseren Jahresbericht vorstellen und wie Sie sehen, stehen Dutzende gepanzerte Fahrzeuge und Polizisten vor der Tür. Es soll nach außen ein Bild vermittelt werden, als ob hier etwas Illegales stattfände und wir Organisationsarbeit für eine politische Partei machen würden. Das ist unser größtes Hindernis. Der Staat macht seine Arbeit nicht und beschränkt alles, was wir tun können.

Im Westen der Türkei wird die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt diskutiert. Befindet sich das Thema auch in Wan auf der Tagesordnung?

Istanbul-Konvention hört sich an, als würde sie nur die Türkei umfassen. So ist es aber nicht. Auch wir verteidigen die Istanbul-Konvention und geben entsprechende Erklärungen ab. Wir bestehen darauf und werden an diesem Punkt keine Kompromisse eingehen. Wir werden uns widersetzen, unabhängig vom Ausgang, und die Istanbul-Konvention verteidigen. Wir sind Revolutionärinnen einer unterdrückten Nation. Aber wir sind nicht sichtbar. Wenn im Westen ein Las-Tesis-Protest stattfindet, dann findet er großen Widerhall. Die Frauen nutzen die Straßen. Ich will nicht sagen, dass ihre Arbeit leicht ist. Auch dort werden Frauen marginalisiert. Aber das, was hier mit uns geschieht, ist entsprechend härter. Wir arbeiten seit einem Jahr in diesem Verein. Allein gegen mich als Mitglied des Vereinsvorstands wurden in diesem Jahr 26 Verfahren eingeleitet. Das sind staatliche Übergriffe.