AKP-Regierung für steigende Zahl der Femizide verantwortlich

Tuğçe Özçelik vom Frauenverteidigungsnetzwerk sagt, die wachsende Zahl der Femizide in der Türkei und Nordkurdistan nach dem Ausstieg der Regierung aus der Istanbul-Konvention sei absehbar gewesen.

Die Türkei war vor zehn Jahren Erstunterzeichnerin der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Am 1. Juli verließ sie die Konvention mit einem Dekret des Präsidenten Erdoğan (AKP). Vor dem Inkrafttreten des Präsidialdekrets hatte es massive Proteste insbesondere von Seiten der Frauenbewegung gegeben. Aber AKP und MHP waren entschlossen, ihre misogyne Politik durchzudrücken. Ab dem Tag, an dem die Regierung das Verlassen der Konvention angekündigt hatte, begann die Zahl der Femizide zu steigen. Die Regierung erklärte, die Gesetze des türkischen Strafrechts reichten aus, aber unzählige Frauen, die sich, um Schutz zu erhalten, an die Polizei gewandt hatten, wurden zu ihren gewalttätigen Männern zurückgeschickt.

Mindestens 124 Femizide in vier Monaten

Die Istanbuler HDP-Abgeordnete Oya Ersoy teilte am 12. August in einer Presseerklärung mit, dass in den vier Monaten nach der Bekanntgabe des Rückzugs aus der Istanbul-Konvention insgesamt 124 Frauen ermordet worden sind. Zwischen dem 10. und 12. August wurden nach Angaben der Frauenplattform „Wir werden die Femizide stoppen“ fünf Femizide registriert.

Auch wenn der Mord an Azra Gülendam Haytaoğlu breites Echo hervorrief, zeigt der Suizid von Eda Nur Kaplan, dass nichts getan wird, um Gewalt gegen Frauen und Femizide zu verhindern. Nachdem zwei Männer, die Kaplan sexuell attackiert hatten, ohne wirksame Ermittlungen freigelassen worden waren, beging die junge Frau in dem Glauben, sie habe keine andere Möglichkeit mehr, Suizid.

Wir wussten, dass solche Tage kommen würden“

Tuğçe Özçelik vom Frauenverteidigungsnetzwerk äußert sich gegenüber ANF über die erschütternde Bilanz der vergangenen vier Monate: „Am 1. Juli ist die Regierung einseitig aus der Istanbul-Konvention ausgetreten. Seitdem haben wir eine Vielzahl der Mechanismen zum Schutz von Frauen vor Gewalt an öffentlichen Orten, zu Hause oder auf der Straße verloren. Der Austritt aus der Istanbul-Konvention hat den Tod von Azra und Eda Nur möglich gemacht. Bereits direkt nach der Ankündigung Erdoğans, aus der Konvention auszutreten, wurden wir Zeuginnen von drei Femiziden. Wir wussten, dass solche Tage wie heute kommen würden.“

Eda Nurs Tod ist kein Selbstmord“

Özçelik erklärt, die Istanbul-Konvention habe eine schützende Wirkung gehabt, aber gleichzeitig auch Gewalttäter abgeschreckt. Sie führt aus: „Der Vertrag zeigte sowohl den Frauen als auch den Gewalttätern, dass Frauen nicht allein und ungeschützt sind. Es war ein Vertrag, der sich darauf konzentrierte, Gewalt zu verhindern. Dies umfasste nicht nur den Moment der Gewalt, sondern auch das Vorfeld.“

Die Aktivistin betont den Charakter der Konvention als einen Vertrag, der Geschlechterungleichheit in jedem Bereich bekämpft. Sie weist auf die Lebensnotwendigkeit der Konvention hin: „Wir müssen es so sagen: Eda Nur Kaplan wurde gezwungen, Selbstmord zu begehen. Es handelt sich also um Mord. Azra wurde ebenfalls brutal ermordet. Diese Morde haben erneut gezeigt, welche Bedeutung die Konvention hat. Auf der anderen Seite hatten wir bereits erklärt, dass wir den Vertrag in seiner jetzigen Form nicht für ausreichend halten. Daher reicht es für uns nicht aus, dass die Türkei die Istanbul-Konvention erneut unterzeichnet, sie muss die Bestimmungen umsetzen. Die Frauen haben den Kampf unter der Forderung nach der Umsetzung der Bedingungen der Konvention begonnen.“ Özçelik weist damit auf die vielen Massenproteste von Frauen für die Umsetzung der Istanbul-Konvention in den vergangenen Jahren hin.

Tuğçe Özçelik schließt mit den Worten: „Die Regierung hat den Frauen den Schutz genommen. Dabei ging es ihr darum, die sich auflösende islamische Bruderschaft zu garantieren. Aber dennoch haben die Frauen auf den Straßen und überall sonst ihre Solidarität gezeigt. Ja, wir konnten das Leben von Azra und Eda Nur nicht erhalten, aber die Solidarität der Frauen wird die notwendigen Schutzmechanismen für die Frauen durchsetzen, die nach dem 1. Juli zur Polizeistation gehen. Wenn wir zu Hause Gewalt ausgesetzt sind und schreien, dann wissen wir, dass wir eine Nachbarin haben, die uns hören wird. Wir kämpfen immer noch für die Unterzeichnung und effektive Umsetzung der Istanbul-Konvention, aber wenn es keinen Vertrag gibt, gibt es immer noch die Solidarität der Frauen."