Nach rund fünf Monaten endete heute vor dem Staatsschutzgericht München das Hauptverfahren gegen Mirza B. mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der kurdische Aktivist wurde Anfang Mai 2021 in Nürnberg festgenommen und verbrachte seine Untersuchungshaft in Augsburg/Gablingen - seit Prozessbeginn in München/Stadelheim. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung kündigte Revision an.
Vor dem Gerichtsgebäude trafen sich Freundinnen und Freunde von Mirza B. zu einer Kundgebung und prangerten die Kriminalisierung von Kurd:innen an. Viele waren dann auch im Gerichtssaal dabei, als das Urteil gegen Mirza B. verkündet wurde. An sie richtete er auch seinen letzten Gruß, ehe er abgeführt wurde: „Bijî berxwedana gerîla!“ - zu Deutsch: Es lebe der Widerstand der Guerilla.
Die Urteilsbegründung
Der Vorsitzende Richter Höhne befasste sich in seiner mündlichen Urteilsbegründung zunächst mit der Geschichte der Kurd:innen bis hin zur Gründung der PKK. Dabei räumte er die Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen des türkischen Staates ein, rückte jedoch nicht von der bekannten Einschätzung deutscher Gerichte in Bezug auf die PKK als „terroristische“ Organisation ab. Er sah es als erwiesen an, dass Mirza.B. als „Vollkader“ für die PKK tätig gewesen sei und folgte damit den Ausführungen der Staatsanwaltschaft. Als strafmildernd bewertete er, dass der „Einsatz für die PKK“ untrennbar verbunden ist mit Mirza B.‘s persönlichen Erfahrungen von brutaler Gewalt in der Türkei. „Die gesamte kurdische Misere wurde in seiner Familiengeschichte abgebildet.“ Auf der anderen Seite sei nicht zu erkennen, dass sich der Angeklagte in irgendeiner Weise vom bewaffneten Kampf distanziere.
Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft
Am vorletzten Verhandlungstag forderte Oberstaatsanwalt Straßer noch drei Jahre und sechs Monate wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Vereinigung. Mirza B. soll als Gebiets- und Regionalleiter der PKK im Raum Bayern von 2020 bis 2021 tätig gewesen sein. Als Beweise dienten Zeugenvernehmungen - Beamte des Landeskriminalamts und des Verfassungsschutzes -, Dokumente auf Datenträgern, sowie durch Polizei und Geheimdienst überwachte Telefonate.
Das Plädoyer der Verteidigung
Rechtsanwalt Yunus Ziyal thematisierte in seinem Schlussplädoyer zunächst juristische Probleme und politische Konsequenzen des Staatsschutzstrafrechts. Dabei kritisierte er insbesondere, dass der § 129b grundsätzlich Staaten schützt und damit schon eine Parteinahme jeweils für Herrschende bedeutet.
Bereits die Existenz einer Verfolgungsermächtigung, die die Frage der Strafbarkeit letztlich der Regierung überlässt, zeige den politischen Charakter der Verfahren. Exemplarisch legte der Verteidiger dar, dass Deutschland und die Türkei bei der Verfolgung von ‚Terrorismus‘ letztlich nur ihre jeweiligen politischen Interessen bedienen.
Das würde beispielsweise dadurch belegt, dass keine vergleichbaren Verfahren gegen türkische Faschisten geführt werden. Die Ülkücü-Bewegung werde zwar vom Verfassungsschutz beobachtet, von deren Mitgliedern begangene Straftaten würden jedoch als „normale Kriminalität“ gewertet.
Zudem herrsche in vielen der geschützten Staaten - zum Beispiel in der Türkei - Willkür, und es gäbe keinen Rechtsschutz für Minderheiten, wie die Schilderungen der Sachverständigen Morack und seines Mandanten ergaben. Deshalb bliebe „den Betroffenen [...] die Wahl, die Ungerechtigkeit zu dulden oder - ggf. gewaltsam - zu bekämpfen.“
In Ergänzung des zu Beginn der Hauptverhandlung eingebrachten Antrags auf Einstellung des Verfahrens wies Ziyal auf jüngste Entwicklungen hin, die deutlich machen, warum der türkische Staat weiterhin kein taugliches Schutzgut des Staatsschutzstrafrechts sein darf. Dabei ging er unter anderem ein auf die völkerrechtswidrigen Angriffe der türkischen Armee in Nordsyrien, Libyen und im Nordirak und den von der Organisation IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges) veröffentlichten Bericht über den Einsatz von chemischen Waffen, die auch Zivilist:innen betrafen.
Mirza B. im Gerichtssaal | Archivbild
Schließlich wurde die Feststellung des belgischen Kassationsgerichtshofs gewürdigt, wonach die PKK eine Partei in einem bewaffneten Konflikt ist, weshalb ihre Mitglieder nicht nach den Antiterrorgesetzen verurteilt werden können. Mit Wollen und Mut könnte jeder Staatsschutzsenat zum gleichen Ergebnis kommen.
Am Ende seines Plädoyers ging Ziyal auf die persönliche Erklärung seines Mandanten ein, in der dieser Diskriminierung und Gewalt gegenüber Kurd:innen beschrieb. Obwohl er hier eine Fortsetzung der in der Türkei erlebten Kriminalisierung und Repression erfuhr, habe „Mirza B. […] in all dem seine Menschlichkeit und seine Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben nicht verloren.“
Die Handlungen, die Mirza B. zur Last gelegt werden, seien für sich genommen nicht strafwürdig. Wenn dies jedoch „für die PKK“ geschieht, dann komme die Keule des „Terrorismus“ ins Spiel - seit mehr als 20 Jahren. Hier zeichnete Ziyal die Entwicklung der Arbeiterpartei Kurdistans nach. Längst gehe es nicht nur um Ideen einer vormals monolithischen Partei. Vielmehr handele es sich um eine riesengroße zivile Bewegung, die das politisch-kulturelle Anliegen der PKK unterstützt. Die Partei habe selbst mehrmals einen Wandel durchgemacht, und die PKK-Bewegung sei zweifellos der fortschrittlichste Akteur der Region. Schritt für Schritt werde ein ziviler politischer Aufbau umgesetzt mit einem demokratischen, pluralistischen, ökologischen, feministischen und sozial orientierten Paradigma, das nicht weit entfernt ist von hiesigen Wertvorstellungen.
Ziyal schloss sein Plädoyer mit dem Antrag, Mirza B. freizusprechen, wenngleich er befürchtete, dass das Gericht den Widerstand seines Mandanten gegen das verbrecherische türkische Regime nicht ins Zentrum des Verfahrens rücken und somit die Ursache der Folgen von staatlicher Gewalt und Staatsterrorismus negieren werde.
Die „letzten Worte“ von Mirza B. an das Gericht
Nachdem der Applaus im Zuschauerraum abgeklungen war - den der Vorsitzende Richter sichtlich genervt missbilligte - war Mirza B. an der Reihe, „letzte Worte“ an den Senat zu richten. Er stellte zunächst fest, er werde sich nicht mit den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen befassen. Auch sei seine „Verteidigung kein Versuch, meine individuelle Freiheit einzufordern. Ohnehin geht es nicht darum, Gerechtigkeit von einem Justizwesen zu erwarten, das in den Dreck einer heuchlerischen Politik verstrickt ist. Es geht mir lediglich darum, die kurdische Realität wenigstens ein bisschen darzustellen.“ Kein Verfahren in Deutschland gegen die kurdische Freiheitsbewegung hatte je etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Solange sich Gerichte nicht vom Schatten und Druck des politischen Willens unabhängig gemacht haben, sei dies auch nicht zu erwarten.
Im Anschluss benannte Mirza B. Meilensteine der Kriminalisierung der kurdischen Vereine: Vom Mord an Olof Palme, der den Kurd:innen angelastet wurde und die fehlende Entschuldigung, als sich der Vorwurf in Nichts auflöste, bis zum Besuch des Generalbundesanwalts neulich in der Türkei. So wie es aussieht, meinte er, habe der deutsche Beamte bei seinem persönlichen Treffen mit Erdogan neue Anweisungen für neue feindselige Vorgehensweisen bezüglich der Kurd:innen erhalten.
Dass es auch anderes gehen könnte, zeigten die Urteile von Belgien und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Das Festhalten der deutschen Regierung an der Stigmatisierung der PKK als „Terror“-Organisation sei den schmutzigen Beziehungen mit dem faschistischen türkischen Staat geschuldet.
Deutschland könnte seinen Ruf korrigieren
Mirza B. drückte seine Bestürzung darüber aus, dass die deutsche Justiz mit dieser Haltung ihre eigenen Grundsätze von Gleichheit und Gerechtigkeit verrät. Millionen von demokratischen und freiheitsliebenden Menschen, die den Kampf der Kurd:innen für Selbstbestimmung unterstützen und Unterschriften sammeln für die Freilassung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan werden betrogen, indem ihr Wille ignoriert werde. Dabei könne Deutschland auch anders entscheiden und seinen Ruf korrigieren.
Tausende von Betroffenen litten an dem Trauma der Verfolgung. „Wie wird Deutschland diese Schuld wieder gut machen?“, fragte Mirza B. das Gericht. „Wird Deutschland eines Tages um Vergebung bitten für die Unterstützung eines faschistischen Staates, weil es damals den eigenen Interessen diente?“
Mit dem Hinweis auf das Schicksal Nelson Mandelas ist Mirza B. optimistisch, dass der Befreiungskampf des kurdischen Volkes erfolgreich sein wird. Immer wieder habe man erlebt, dass die zuvor als „Terroristen“ Diffamierten rehabilitiert wurden. Der heutige Kampf des kurdischen Volkes und seines Repräsentanten Abdullah Öcalan sei mit dem Paradigma der Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie zukunftsweisend und inspiriert Millionen.
Zum Ende seiner Rede wandte sich Mirza B. explizit an die Mitglieder des Senats und betonte, dass er deren aufrichtiges Interesse an der kurdischen Frage gespürt habe. Allerdings seien sie - ebenso wie die Richter:innen in der Türkei - einem politischen Druck unterworfen und können nicht frei entscheiden. Er erwarte keine Gerechtigkeit, wenn es um Kurd:innen und andere unterdrückte Völker geht. Doch werde er nicht „wie ein Sklave mit gefalteten Händen vor seinem Herrn“ stehen, sondern überall die Wahrheit herausschreien: „Es lebe der Freiheitskampf des kurdischen Volkes! Es lebe der internationalistische Widerstand! Der Erfolg ist gewiss!“
Nach diesen Worten erklang erneut Applaus, der zu einem Wutausbruch des Vorsitzenden Richter Höhne verbunden mit Drohungen in Richtung der Zuschauer:innen führte.