1986 erschütterte der Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme die Welt. Der Sozialdemokrat ging am Abend des 28. Februar 1986 mit seiner Ehefrau Lisbet von einem Kinobesuch nach Hause, als ein Mann ihn aus nächster Entfernung von hinten erschoss und unerkannt entkommen konnte. Etliche Personen, Regierungen, Nachrichtendienste und Bewegungen galten im Laufe der Jahre als tatverdächtig. Mal war es das südafrikanische Regime, weil Palme das Apartheid-System ächtete, oder der israelische Mossad, da das Verständnis des 59-Jährigen für die Sache der palästinensischen PLO Israel verärgerte. Ebenso wurde der Fokus auf rechte Kreise in Skandinavien und auf die schwedischen Sicherheitsbehörden selbst gelegt. Doch der damalige Fahndungsleiter Hans Holmér war besessen von der Idee, dass die kurdische Arbeiterpartei PKK hinter dem Mord an Palme stecken könnte. Die PKK und Abdullah Öcalan dementierten beharrlich jegliche Beteiligung an dem Mord an Palme. Für sie galt er als „Freund der unterdrückten Völker” – das kurdische Volk miteingeschlossen. Und obwohl Hinweise neben dem türkischen Geheimdienst MIT auch in Richtung der US-amerikanischen CIA deuteten – Palme wurde in Washington wegen seiner Entspannungspolitik gegenüber Russland als „Sicherheitsrisiko” eingestuft (Ola Tunander, «The Secret War Against Sweden – US and British Submarine Deception in the 1980s», 2004) – wurde immer wieder die Theorie einer angeblichen „PKK-Verschwörung” gegen den Politiker aufgekocht, auch wenn die Verdächtigungen nie mit Beweisen untermauert werden konnten. Nun, nach 34 Jahren, wollen die schwedischen Behörden den mutmaßlichen Täter ausgemacht haben. Es sei erwiesen, dass der Grafik-Designer Stig Engström an jenem kalten Winterabend im Jahr 1986 Palme erschossen habe, sagte Staatsanwalt Krister Petersson letzte Woche in Stockholm. Präsentiert wurde die Theorie des hasserfüllten Einzeltäters: Der Mann sei Waffennarr gewesen, politisch rechtsstehend, habe außerdem Alkoholprobleme gehabt. Zwar ist Engström für die schwedische Öffentlichkeit kein Unbekannter, da er 1986 der erste Zeuge am Tatort war. Das Problem an seiner angeblichen Schuld: Weder existieren eine Tatwaffe oder DNA-Spuren, noch gibt es Beweise gegen Engström. Auch das Tatmotiv fehlt. Stattdessen sollen im Nachhinein Unstimmigkeiten in seinen Aussagen aufgefallen sein. Da Engström seit 20 Jahren tot ist, kann er nicht erneut vernommen werden. Damit ist der Fall offiziell abgeschlossen.
PKK: Wir machen Einwände geltend
Viel wurde seit letzter Woche wieder spekuliert und diskutiert. Inzwischen hat sich auch das Diplomatiekomitee der PKK zu Wort gemeldet. Zwar sei es eine wichtige Entwicklungen für die kurdische Bewegung und das kurdische Volk, dass die Ermittlungen im Mord an Olof Palme nach so langer Zeit zum Abschluss gekommen sind, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme. „Doch solange die Anschuldigungen gegen die PKK und die kurdische Gesellschaft nicht zurückgenommen werden, kann aus unserer Sicht nicht von einem erfreulichen Ergebnis die Rede sein. Schließlich wurde unsere Bewegung und damit unser Volk des Mordes an Palme bezichtigt und kriminalisiert”, kritisiert die von Öcalan und einer Gruppe Studierender 1978 gegründete Arbeiterpartei Kurdistans. Die kurdische Bewegung erwarte eine Entschuldigung, die in erster Linie den Kurdinnen und Kurden gelten müsse. Zudem erstaune es feststellen zu müssen, dass Schweden noch immer keine Initiative ergriffen habe, dem an der PKK wegen ihrer angeblichen Täterschaft am Palme-Mord haftenden „Terror-Stigma” entgegenzuwirken. „In dieser Erwartung beschränkte sich die PKK bisher darauf, die Diskussionen lediglich aufmerksam zu verfolgen und Gerechtigkeit für Olof Palme zu erhoffen. Da sich die Debatten allerdings nicht auf diese Achse verlagern und die Stigmatisierung unserer Volkes seit nunmehr 34 Jahren andauert haben wir uns entschieden, Einwände geltend zu machen.” Jahrzehntelange Vorwürfe, Diffamierungen, Terrorisierung und Kriminalisierung könnten nicht ohne Weiteres hingenommen und unter den Tisch gekehrt werden, erklärt das PKK-Komitee. „Solange keine Entschuldigung beim kurdischen Volk wegen dieser vollkommen unbegründeten Anschuldigungen erfolgt, Schweden und die Europäische Union der PKK weiterhin ‚Terrorismus’ vorwerfen und sie als ‚Terrorgruppe’ listen, werden wir als Arbeiterpartei Kurdistans dieses Verfahren politisch weiter verfolgen. Dass der Mordfall Olof Palme auf diese Weise zu den Akten gelegt wird, sollte auch das schwedische Volk nicht akzeptieren.”
Fall Palme darf nicht ungeklärt bleiben
Die Ermittlungen im Mordfall Palme leitete Hans Holmér, damaliger Chef der Stockholmer Polizei. Dieser hatte sofort die PKK im Verdacht, doch ohne jedes Indiz. Da Holmér allerdings keinerlei Interesse zeigte an Anzeichen und Zeugenaussagen, die auf andere Täter als die kurdische Arbeiterpartei hinwiesen – stattdessen verwahrte Holmér entsprechende Dokumente in einem Safe auf, in dem sie Jahre später entdeckt wurden – begann eine „Hexenjagd” auf Kurden. „Mittlerweile ist unverkennbar, dass diese Maßnahmen des Stockholmer Polizeichefs gezielt zur Ablenkung der Öffentlichkeit durchgeführt wurden, um die wahren Hintermänner in den Reihen verschiedener Nachrichtendienste zu schützen”, führt das PKK-Komitee weiter aus und weist auf die Rolle von Stay-behind-Organisationen der NATO wie „Gladio“ hin. „Dass die offensichtliche Rolle westlicher Geheimdienste, der NATO und des türkischen MIT in diesem Attentat nicht geprüft worden sind, stellt auch für das Volk Schwedens und seine Justiz eine Erniedrigung dar. Lassen wir für einen Moment die Tatsache außen vor, dass gegen die wahren Tatverdächtigen nicht ermittelt wurde, und führen uns vor Augen, dass schon kurz nach dem Mord an Palme polizeiliche Zugriffe auf Dutzende PKK-Aktivisten erfolgten. Zwar brachten diese keine Fortschritte in den Ermittlungen, doch die antikurdische Propagandamaschinerie in den schwedischen, deutschen und türkischen Medien lief bereits. Das kurdische Volk und die PKK wurden nicht nur des Mordes beschuldigt: Auf Grundlage des Attentats an Olof Palme wurde Feindseligkeit zwischen den Völkern geschürt und dem kurdischen Volk Unrecht sowie Respektlosigkeit angetan.” Dieser Mord dürfe nicht ungeklärt bleiben.
„Für die Freiheit des kurdischen Volkes, die Demokratisierung seines Siedlungsgebiets, für das Selbstbestimmungsrecht der Kurd*innen als Nation leistet die PKK selbstlos und unter äußerst schwierigen Bedingungen Widerstand gegen den genozidalen Krieg des türkischen Staates. Dass wir für den Mord an einem Demokraten, wie es Olof Palme war, zur Verantwortung gezogen werden sollten, hat die PKK in der Öffentlichkeit als ‚terroristische’ Organisation erscheinen lassen. Um dieses Bild in der öffentlichen Wahrnehmung zu verfestigen, setzten einige Staaten, die sich gegen den kurdischen Befreiungskampf an der Seite der Türkei positionierten und ihr innenpolitisch bereits unter die Arme griffen, außenpolitisch auf einen psychologischen Krieg gegen die PKK. Leider waren dahingehende Kampagnen teilweise erfolgreich, so dass das kurdische Volk und die PKK seit dem Attentat auf Olof Palme sofort mit ähnlichen Verbrechen in Verbindung gebracht und kriminalisiert werden, wo auch immer in der Welt sie geschehen sind.”
Palme – Freund und Helfer nationaler Widerstandsbewegungen
Und dass, obwohl die Kurdinnen und Kurden, wie andere Unterdrückten auch, den schwedischen Ministerpräsidenten als eine Führungspersönlichkeit ansahen, die sich der Verteidigung ihrer Rechte verschrieben hatte, unterstreicht das PKK-Diplomatiekomitee und erinnert an ein Palme-Statement von Abdullah Öcalan, das er 1996 im kurdischen TV äußerte. „Unser Vorsitzender erklärte, dass Palme sagte: ‚Sie wollen, dass ich der PKK Kontra gebe, aber warum sollte ich das tun?’ Darüber hinaus hatte Palme Beschwerde bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte gegen die Türkei eingereicht, nachdem ihre faschistischen Generäle im Zuge des Militärputschs vom 12. September 1980 das Land in eine einzige Folterkammer verwandelten und insbesondere Kurdinnen und Kurden angriffen. Als Palme 1982 zum zweiten Mal Ministerpräsident Schwedens wurde, sagte sich das kurdische Volk: ‚Jetzt haben wir einen Anwalt, der unsere Rechte verteidigt.’ Aus welchem Grund sollten das kurdische Volk und die PKK, die Palme als eine wichtige Person schätzten, die auf der internationalen Arena für ihre Rechte eintrat, angreifen wollen?”
Internationales Komplott
Die Frage beantworte sich von selbst, mit einem einzigen Mord wollte man sich mit einem Schlag gleich etlicher Probleme entledigen, so die PKK. Einen „Verfechter sozialer Gerechtigkeit, der an den demokratischen Sozialismus glaubte, den unterdrückten Völkern zur Seite stand und nationale Befreiungsbewegungen unterstützte, der zugleich einen Staat anführte, aus dem Weg zu räumen”, sollte nicht nur dem schwedischen Volk großen Schaden zufügen. „Olof Palme war ein Sicherheitsrisiko für die ‚Stay behind-Truppen der NATO in der Zeit des Kalten Krieges, da er als gemäßigter Politiker gute Beziehungen zu Staaten und politischen Führern hatte, die dem westlichen Verteidigungsbündnis ein Dorn im Auge waren. Auch hierzu hatte sich Abdullah Öcalan im TV geäußert. Er erklärte: ‚Es ist offensichtlich, dass sich Palme nicht nur in den USA unbeliebt gemacht hat, sondern auch in Europa. Er wurde Opfer eines Mordes, der aktiv von Margaret Thatcher, Helmut Kohl und der türkischen Regierung aktiv unterstützt wurde. Wie kam man nun auf die Idee, den Mord der PKK in die Schuhe zu schieben? Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wir hatten die Befürchtung, dass sie einen Idioten unter den Kurden aufgabeln könnten, der sich zu dem Mord bekennen würde. Noch am Abend [des Attentats] ließ ich eine Stellungnahme verfassen, aus der hervorging, dass Palme der einzige Europäer war, der keine feindselige Haltung gegenüber den Kurden einnahm und wir sein Andenken voller Hochachtung und Dankbarkeit bewahren werden. Anschließend gaben wir am 3. März 1986 eine weitere Erklärung heraus, in der wir als PKK den Mord an Palme als internationales Komplott bezeichneten und somit unsere Position bekräftigten.’ Da unsere Haltung zum Palme-Attentat von Anfang an klar war, steht es für uns außer Frage, dass es der türkische Staat war, der uns gezielt diesen Mord anlasten wollte, um den Befreiungskampf unseres Volkes zu kriminalisieren. Für diesen Plan brachte die Türkei die westlichen Nachrichtendienste mit ins Spiel. Den Mordfall Palme jetzt zu den Akten zu legen, ohne diesen Hinweisen nachzugehen und die kurdische Sache aus der ‚Terrorecke’ zu holen, ist nicht hinnehmbar.”
Eine Frage des Gewissens
34 Jahre nach dem Tod von Palme habe sich die Vermutung Öcalans und die der PKK bewahrheitet. Auf welche Weise die Ermittlungen über drei Jahrzehnte geführt und ergebnislos abgeschlossen wurden, sei im Prinzip ein Eingeständnis dafür, dass es sich um ein internationales Komplott gegen den schwedischen Politiker gehandelt habe, heißt es weiter. Nun erwarte die PKK, dass offizielle und juristische Schritte unternommen werden, um die Ansätze gegenüber dem kurdischen Volk zu berichtigen. Abschließend erklärt das Diplomatiekomitee: „Als PKK verurteilen wir ein weiteres Mal den Mord an Olof Palme und fordern die schwedischen Behörden auf, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wir sind bereit, zur Aufklärung des Attentats auf diesen Freund aller Unterdrückten und des kurdischen Volkes beizutragen. Keineswegs sind wir bereit, den Fall ad acta zu legen. Wir werden weiter für die Aufklärung des Mordes an Palme kämpfen und setzen uns dafür ein, dass alle Komplotte, die auf das Konto von Stay-behind-Organisationen der NATO gehen, ihre Hintergründe und Formen der Ausführung offengelegt werden. Wir sehen diese Bemühungen und Kämpfe als Teil des Widerstands der Menschheit für Freiheit und Demokratie. Es ist eine Frage des Gewissens, die wahren Täter des Mordes an Olof Palme zur Rechenschaft zu ziehen. Bevor das nicht geschieht, darf die Ermittlungsakte nicht geschlossen werden. Wir rufen das schwedische und das kurdische Volk sowie alle Demokratinnen und Demokraten auf, ihre Bemühungen fortzusetzen, damit der Palme-Mord restlos aufgeklärt werden kann.”