Eröffnung der Hauptverhandlung gegen Mirza B. in München

Heute begann vor dem Staatsschutzsenat am OLG München die Hauptverhandlung gegen den kurdischen Aktivisten Mirza B. Auf einer Kundgebung vor dem Gericht wurde seine Freilassung gefordert.

Wieder einmal steht ein Kurde vor einem deutschen Gericht, dem eine mutmaßliche „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ vorgeworfen wird. Gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Mirza B. wurde am 7. Mai 2021 nach einer Razzia in Nürnberg festgenommen. Den Ermittlungen zufolge soll er als Gebiets- bzw. Regionalleiter in Nürnberg/Bayern tätig gewesen sein. Beweisen sollen dies laut Haftbefehl unter anderem die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen oder Kundgebungen, mitgeschnittene Telefonate oder die Koordination von Spendensammlungen. Harmlose und gemeinhin legale Tätigkeiten gewinnen bei unterstelltem „PKK-Bezug“ Strafrelevanz.

Dabei geht es jedoch gar nicht um eine individuelle Schuld. Die akribische Auflistung dieser „Betätigungshandlungen“ zeugt vom Fleiß der Ermittler und verleiht der Anklage allenfalls einen rechtsstaatlichen Deckmantel. Der eigentliche Vorwurf ist die unterstellte Nähe zu einer Freiheitsbewegung, die seit Jahrzehnten führende Kraft im Widerstand gegen türkische Kolonialpolitik ist. Angeklagt wird eine politische Gesinnung, die sich gegen Unterdrückung und Krieg positioniert und für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und die Anerkennung der eigenen kulturellen Identität eintritt. Während derzeit dem ukrainischen Volk zugestanden wird, einen Freiheitskampf gegen einen fremden Usurpator zu führen, billigt man dies den Kurd:innen nicht zu. Man übernimmt die Propaganda der türkischen Diktatur, für die jede Auflehnung gegen Unterdrückung „Terrorismus“ bedeutet.

Deutschland an der Seite türkischer Machthaber

In Deutschland ist die PKK seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt, dessen Aufhebung jetzt beantragt wurde. Deutschland steht seit sehr langer Zeit und aus vielen Gründen an der Seite der jeweiligen Machthaber in Ankara. Diese Dauerfreundschaft reicht zurück ins Kaiserreich, war stabil im Nazi-Deutschland und dauert bis heute an. Nach der Devise „dein Feind ist mein Feind“ wird hierzulande wie in der Türkei jede politische Betätigung von Kurd:innen kriminalisiert.

Seit 2002 wird die PKK vor allem auf Betreiben Deutschlands in der Liste „terroristischer“ Organisationen der EU geführt. Dagegen wird seit 2014 vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg geklagt.

Durch die Anwendung der §§ 129a/b Strafgesetzbuch werden Kurd:innen zu „Terroristen“ gemacht. Mit der Begründung, die „Sicherheitsinteressen des deutschen Staates“ seien gefährdet, werden Aktivist:innen in regelmäßigen Abständen verhaftet – nachdem man sie monate-, teils jahrelang ausgespäht hat. Die Logik dieses Handelns will sich nicht so recht erschließen: Entweder die von den Beschuldigten ausgehende „terroristische Gefahr“ ist doch nicht so groß, dass man sie einfach weiter sich „terroristisch betätigen“ lässt oder die „deutschen Sicherheitsinteressen“ werden fahrlässig vernachlässigt.

Kurdische Community unter Kollektivverdacht

Vielleicht aber geht es vorrangig um das Sammeln von Informationen über die kurdische Community, die unter Kollektivverdacht steht, eins zu sein mit der PKK? Das Ziel ist Einschüchterung. Die Gleichsetzung „Kurde gleich PKK gleich Terrorist“ wird seit Jahrzehnten als Mantra aufrechterhalten. Es provoziert das permanente und generationenübergreifende Pendeln von Kurd:innen zwischen dem trotzigen „Jetzt erst recht!“ und der Furcht, sich zur eigenen Identität zu bekennen, da handfeste, oft ausländerrechtliche Nachteile drohen. Eine „gelingende Integrationspolitik“ sieht anders aus.

Mirza B. ist als Kurde im türkisch besetzten Teil Kurdistans aufgewachsen und hat seit seiner Kindheit Ausgrenzung, Leid und Repression erfahren. Einer Verfolgung konnte er sich nur durch Flucht nach Europa entziehen. Er zahlt nun den Preis für die deutsche Politik, der die Kriminalisierung der PKK wichtiger ist als der Anstoß eines Dialogs zur Lösung des Problems des türkischen Staates. Mit der Verfolgungsermächtigung gegen mutmaßliche PKK-Aktivist:innen zwingt die Regierung die Justiz zur Strafverfolgung. Sie macht Mirza B. zum Opfer einer von außenpolitischen Interessen geleiteten Rechtsprechung. Vermutlich sieht er sich jedoch nicht in einer Opferrolle, sondern wird bestrebt sein, dem Gericht einen Spiegel vorzuhalten, der die Erbärmlichkeit einer Justiz offenlegt, die ihre Unabhängigkeit einer anti-kurdischen Staatsdoktrin opfert.

Kundgebung: Freiheit für Mirza B.

Ein Jahr schon verbrachte Mirza B. in Untersuchungshaft – zuerst in Augsburg-Gablingen, nun zum Prozessbeginn wurde er in die JVA München-Stadelheim verlegt. Während der Kundgebung vor der Verhandlung fragte ein Redner: „Wir sind gespannt, wie deutsche Gerichte die Verbrechen gegen Kurd:innen seitens des türkischen Staates bewerten. Wird sich der Senat wieder in die Rolle des Handlangers der deutschen Außenpolitik drängen lassen? Wird er es wagen, einen Aktivisten zu verurteilen, der sich immer für ein freies Leben in Würde einsetzte und niemals die Hoffnung auf eine demokratische Lösung aufgab? Wir solidarisieren uns mit Mirza und erwarten vom Gericht die Einstellung dieses Verfahrens. Mirza hätte niemals angeklagt werden dürfen, wenn der Maßstab nicht das herrschende Recht, sondern Gerechtigkeit wäre. Wir fordern deshalb seine Freilassung und wünschen ihm und seiner Verteidigung viel Erfolg!“

Verteidiger Ziyal stellt Antrag auf Verfahrenseinstellung

Gleich zu Beginn der Verhandlung stellte Yunus Ziyal, der Verteidiger von Mirza B., einen ausführlich begründeten Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen seinen Mandanten, der sich jetzt schon seit über einem Jahr in Untersuchungshaft befindet. Die vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) erteilte Verfolgungsermächtigung von Aktivist:innen der PKK beruhe auf der Annahme, ein funktionierender Rechtsstaat müsse vom deutschen Strafrecht vor terroristisch agierenden Organisationen geschützt werden.

Ziyal legte an zahlreichen Beispielen dar, wie die türkische Regierung Zug um Zug Rechtsstaatlichkeit und Demokratie außer Kraft setzte. Seit der Erteilung der Verfolgungsermächtigung habe sich die Menschenrechtslage immer weiter verschärft. Ein Staat, der systematisch foltert und mordet, friedliche Demonstrationen regelmäßig mit Gewalt beantwortet, Parteien verbietet, gewählte Abgeordnete durch Zwangsverwalter ersetzt, bei seinen Angriffen auf Kurd:innen selbst vor Einsatz von Chemiewaffen nicht zurückschreckt und nachweislich den sogenannten IS unterstützt, könne nicht den Schutz des deutschen Strafrechts in Anspruch nehmen.

Schließlich führt Ziyal aus, eine weitere Strafverfolgung der PKK durch Deutschland käme einer Billigung und Unterstützung des türkischen Staates gleich. Auch im öffentlichen Interesse müsse der Bundesregierung daran gelegen sein, von einer weiteren Kriminalisierung der PKK abzusehen, um ein deutliches Zeichen gegen die türkische Kriegspolitik zu setzen und eine politische Lösung des Konflikts einzufordern. Der Antrag, das Verfahren aus den genannten Gründen einzustellen, wurde vom Gericht entgegengenommen, die Generalstaatsanwaltschaft hat nun eine Woche Zeit, darauf zu antworten.

Akademische Rätin an Universität Bamberg als Sachverständige

Am 24. Mai, dem zweiten Verhandlungstag wird die akademische Rätin an der Universität Bamberg, Dr. Ellinor Morack, als Sachverständige zur Lage der Kurd:innen in der Türkei befragt werden. Weitere Prozesstermine sind: 24.5., 31.5., 3.6., 21.6., 24.6., 28.6., 1.7., 5.7., 8.7., 12.7., 15.7. jeweils um 9.30 Uhr am Oberlandesgericht München, Nymphenburger Straße 16, 80335 München, Sitzungssaal B-275.